Lärmgeplagt

LärmgeplagtHomöopathisch sozusagen,
in kleinen Dosen, die nicht störn,
fahrn jetzt die Mittelklassewagen.
Man könnt ‘ne Nadel fallen hörn.

Die Straße ruht von ihrn Geschäften.
Die Läden zu. Silentium.
Nur ein Friseur schert noch nach Kräften
am Zottelschopf der Kunden rum.

Und die in dieser Ecke wohnen,
am Bahnhof gleich für Bahn und Bus,
sie können ihre Nerven schonen,
die tags so unter Lärmbeschuss.

Zwar fehlt noch viel an ‘ner Idylle –
zu trostlos reiht sich Haus an Haus
zu grünentkernter Ziegelfülle
im strengen Einheitslook des Graus.

Doch wem’s verwehrt, die Hand zu kriegen,
nimmt gern auch mal ‘nen Finger nur.
Wie unschuldsvoll sie nun da liegen,
die Sünden der Architektur!

Die Nacht in ihrer dunklen Gnade
zog Larven ihnen vors Gesicht –
da seht die scheußliche Fassade
geschönt mit Pflästerchen von Licht!

Der Regen rieselt jetzt so leise,
wie’s eigentlich nur Schnee vermag,
und macht damit auf seine Weise
fast feierlich noch diesen Tag.

(Besonders fein hat aus den Wolken,
die euterdick am Himmel ziehn,
ihn Petrus nur herausgemolken,
dass er dem vor’gen Verse dien.)

Das ist schon fast zu viel des Guten
für ein Quartier in Citynäh.
Was sag ich denn: Ein Heuln und Tuten
zerreißt die schöne Stille jäh!

Die Jungens mit der Feuerspritze!
Frei schießt den Weg das Tütata
aus ihrer Martinshorn-Haubitze –
brandeilig haben sie es ja!

Und kaum ist dieser Krach verklungen,
den wo der rote Hahn entfacht,
jault mit der Kraft von Pferdelungen
ein Peterwagen durch die Nacht.

Vorbei, uff! Und wie weggeblasen,
was eben noch die Ruh zerriss.
Wie Weidekühe friedlich grasen
Fassaden in der Finsternis.

Der Griffel, den ich maulend kaute,
weil mir der Lärm das Hirn blockiert,
beendet seine Schaffensflaute
und fröhlich wieder Zeilen schmiert.

Doch grad dass ich im Rausch der Lieder
an diesen Frieden mich verlor,
da platzen von der Straße wieder
Geräusche ins erschreckte Ohr.

In kurzen, wütenden Sentenzen
schimpft ein Betrunkner vor sich hin.
Rhetorisch will er gar nicht glänzen –
ihm steht nur nach Radau der Sinn.

Und unten, im beparkten Hofe,
fällt dröhnend eine Klappe zu,
wahrscheinlich weil ‘ne Ladenzofe
noch Müll entsorgt in aller Ruh.

Die ganze Nacht könnt ich hier sitzen,
bis auch der letzte Stern verblich,
und Runen in Papyrus ritzen –
nie wär die Stille klösterlich.

Denn mein Skriptorium, eh bescheiden,
entbehrt den großformat’gen Stein,
den, ihre Weltflucht zu umkleiden,
verbauten Münster und Abtein.

Liegt auch in Wäldern nicht und Weiten,
die nur des Pilgers Fuß durchmisst,
nein, wo zu allen Tageszeiten
das Zentrum des Urbanen ist.

Hier ist sie wirklich nicht zu haben,
die Stille, rein und unvergällt,
der lediglich der Feder Schaben
beruhigend sich beigesellt.

Doch wenn da gilt: An Widerständen
wächst, wer mit ihnen ernstlich ringt –
kann’s sein, dass frei von Lärmschutzwänden
ein Barde umso besser singt?

Das werden nur die Musen wissen
und Rezensenten allenfalls.
Die Erst’ren schweigen noch verbissen,
die Letzt’ren hab ich nicht am Hals.

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