Mordskerl Mensch

Wenn wir die Leute reden hören
und selbst in der Erinn’rung wühln,
was gibt’s da nicht, sich zu empören
mit seinen edleren Gefühln!

Es wimmelt nur von Missetaten,
so schrecklich und so sonderbar,
dass in den Medien sie verbraten
und manches Mal als Krimi gar.

Da wird erschossen und erschlagen,
da wird erdrosselt und ertränkt,
lebendig wer zu Grab getragen
und tot wer in den Rauch gehängt!

Hier quält man Leben, neugeboren,
da prügelt jemand grün und blau
der ew’ge Liebe er geschworen,
die längst verhasste Ehefrau.

Man stiehlt, betrügt, bleibt in der Kreide,
beleidigt und wird handgemein
und schwört im Notfall tausend Eide,
dass sein Gewissen lupenrein.

Nie ist man seines Lebens sicher,
nie seines Eigentums gewiss,
denn nichts bedroht uns fürchterlicher
als so ein Menschenhirn mit Riss.

Verbrannte Erde, Witwen, Waisen,
Millionen, die ums Sein geprellt,
uns jeden Augenblick beweisen,
wie rücksichtslos es sich verhält.

Doch über einen Kamm zu scheren
darum das sämtliche Geschlecht,
kann wieder die Erfahrung lehren,
es wär so falsch wie ungerecht.

Mag Blut an drei Fassaden kleben,
das sich dem Auge nicht erschließt –
es steht ein Häuschen gleich daneben,
wo friedlich man die Blumen gießt.

Und nie auf die Idee gekommen,
den Nächsten übern Tisch zu ziehn –
ein Muster der natürlich Frommen,
die keinen Gott sich ausgeliehn.

Ums deutlich noch einmal zu sagen:
An Edelmut hat’s nie gefehlt,
und mancher hat sein Kreuz getragen,
von reiner Menschlichkeit beseelt.

Im Menschen, wie viel Wesenszüge
hat die Natur nicht kumuliert
und kunterbunt sie zum Gefüge
von Charakteren kombiniert!

Was für ‘ne Kollektion von Typen
bebildert nun ihr Musterbuch –
vom Popen bis hin zum Polypen,
von Friedensfürst bis Völkerfluch!

Das macht ihr niemals Kopfzerbrechen,
sie folgt nur ihrer Schaffenslust,
mit immer Neuem zu bestechen,
verbissen, blind und unbewusst.

Moral ist da nicht ihre Sache,
die steht auf einem andern Blatt –
der Mensch braucht sie, der willensschwache,
dass Schutz er vor sich selber hat.

Doch ist sie ihm nicht eingeboren
so wie der Hang zu Hass und Streit;
es haben Weise sie erkoren
als Wächt‘rin der Gemeinsamkeit.

Das aber bleibt auch stets ihr Mangel,
dass sie im Busen nicht gereift;
bei jedem größeren Gerangel
man auf die ganze Tugend pfeift.

Betrifft zum Mindesten die Massen,
die schwer sich tun mit dem Verstand,
die eher andre denken lassen,
und sei es noch so hirnverbrannt.

Wie aber kriegt den Gaunerhaufen
man klein wie jeden andern Dreck?
Soll man sich schlicht ‘ne Knarre kaufen
und pustet Stück für Stück ihn weg?

Das wär ja grade die Methode,
die man bei jenem doch verschmäht –
als ob man eine Fläche rode,
die man mit gleicher Frucht besät!

Lehrt eh‘r mit honigsüßen Lippen
man ihn die Freuden der Moral?
Man wird bloß an die Stirn sich tippen
bedeutsam: He, du kannst mich mal!

Doch selber muss man weiterwandern,
indem man seinen Kurs behält
und nicht mit Blick auf jene andern
auf krumme Wege noch verfällt.

Nur so besteht ‘ne kleine Chance,
dass andern man ein Beispiel gibt
und sich die fehlende Balance
zum Guten mehr und mehr verschiebt.

Ist, Leser, auch auf dich zu zählen?
Noch hält der Feind die Zügel fest.
Der Druck indes der sanften Seelen
ihn mit der Zeit erlahmen lässt.

Dir hat’s gefallen, zu begleiten
mich hier bei meinem Musenkult –
wie wollte da wer dir bestreiten
den langen Faden der Geduld?