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Keine Theodizee

keine-theodizee-milletIch weiß nicht, wie es andre halten,
die sich Apollos Kunst geweiht,
ob sie genießend sie entfalten,
ob lieber mit Enthaltsamkeit.

Mir läuft am raschesten die Feder
im starken Sog der Fantasie,
wenn auf dem Küchentisch-Katheder
ein kleiner Trunk ihr Flügel lieh.

Auch etwas Beiwerk kann nicht schaden,
wie die Erfahrung mich gelehrt –
Oliven, Käse, Weißbrotfladen
haben sich bestens schon bewährt.

Die Gaumenfreuden, die sie schenken,
erwecken wohl des Geistes Neid –
sich nach den seinen zu verrenken,
scheint desto eher er bereit.

In diesem seligen Ambiente
erblickt mein Vers das Licht der Welt.
Ganz heidnisch. Ohne Sakramente.
Direkt ins Paradies gestellt.

So wäre, Leser, denn mein Glück vollkommen
im heitren Wandel eines Epikur –
so wie den gläubig Wissenden, den Frommen
nichts wirft aus seiner Seelenfriedensspur?

Ach, wenn ich reimend so an Wunden rühre
und diesen Jammerleib der Welt beklag,
dann, glaubt mir, dass ich die Gourmet-Allüre
mir stehnden Fußes aus dem Kopfe schlag!

Wie billig ist’s, das Elend zu beschreien,
sitzt man mit vollen Backen weit vom Schuss –
um ihm von fern sein Mitgefühl zu weihen,
doch nicht ein Krümelchen vom Überfluss.

Als gnäd’ges Schicksal kann ich es nur werten,
dass meine Mittel mich so leidlich nährn
und nicht einmal des Euphrat Göttergärten
als goldner Aufenthalt mir lieber wärn.

Doch mag des Denkerfürsten Ruhm erschallen,
wo tauben Herzen er die Zeit vertreibt:
Die Welt ist, ach, die beste nicht von allen,
nicht einmal gut, Monsieur Hochwohlbeleibt!

Da ich zum Platzen mir die Plautze stopfe,
so blind genießend und karzinogen,
zehrn wohl Millionen nur aus einem Topfe,
den sie nie fettig und nie voll gesehn.

Ich werd darum nicht Kohldampf schieben müssen,
das füllte keinem Hungernden den Bauch.
Geb lieber ihm was ab von den Genüssen,
dann steht er etwas wen’ger auf dem Schlauch.

Doch aller Satten Gabe würd’s bedürfen –
die meisten aber halten zu den Sack.
Drum werd ich weiter dichten. Weiter schlürfen.
Und weiter mit ’nem bittren Beigeschmack.

Uhrenvergleich

uhrenvergleich-edvard-munchWill wieder mal die Verseschmiede schildern,
da wo Apollo, nicht Hephästos schafft,
im Reich der Küche hemmungslos zu wildern
nach Geistes- und Gestaltungskraft.

Dabei auch aus den Augen nicht verlieren,
was jenseits meiner Luke zu beschaun.
Ambiente diesem jämmerlichen Schmieren:
Die goldnen Lämmer auf den Himmelsau’n.

Nicht Geister durch den Ruhm entrückter Ahnen,
wie Scipio sie einst gesehn im Traum –
Laternen sind’s, damit auf ihren Bahnen
sich die Planeten nicht verirrn im Raum.

Ihr Licht, so winzig in des Kosmos Weiten,
strahlt seltsam mächtig mir doch ins Gemüt,
als wär’s dem Schlund der Räume und der Zeiten
wie Orchideen aus Permafrost entblüht.

Zurück indes zu unsren griffbereiten Dingen,
wie sie versammelt um den heim’schen Herd,
um mehr um Verse denn das Mahl zu ringen,
da auch bei diesen er sich gut bewährt.

Veränderungen sind nicht eingetreten,
wie lange mein Kontrakt hier auch schon läuft –
vom Atemzug der Zeit, dem stillen, steten,
hat’s etwas höher nur den Staub gehäuft.

(Der Store schien früher allerdings mir sauber,
jetzt wird er gegen seinen Saum schon grau –
da hilft wohl nur ein guter Wasserzauber,
den ich dem Luftgeist Ariel anvertrau.)

In etwa ist die Stimmung auch die gleiche:
Ein Dämmern, das der raschen Nacht gewiss.
Die Häuser drüben: Stein gewordne Deiche,
die bald schon überspült von Finsternis.

Wie üblich auch der Straße grobe Reize –
grad solche, die die Lauscher strapaziern;
doch dass sie auch mit Augenstress nicht geize,
lässt ab und zu ein Blaulicht sie rotiern.

Gerade kommt so‘n Martinshorn geflogen
mit seinen mächtig schwellenden Tatas –
die Straße dröhnt von Monster-Klangeswogen,
der Fuß, er fällt vor lauter Schreck vom Gas.

(Da seht verlegen mich am Schnauzer kraulen:
Der Lärm bringt völlig mich aus dem Konzept.
Ich fasse mich erst wieder, wenn dies Jaulen
mit wachsender Entfernung sacht verebbt.)

Gut, jetzt kann ich den Faden weiterspinnen.
Was wäre sonst noch, Les’rin, von Belang?
Der Kaktus? Will an Größe nicht gewinnen –
zeigt aber auch zum Schrumpfen keinen Hang.

Das kann ich von der Kerze gleichfalls sagen –
schon ewig hab ich sie nicht mehr entflammt!
Längst nistet Staub auf ihrem weißen Kragen,
ein feiner Film auf wächsern-glattem Samt.

Der ist indessen kaum noch zu erkennen,
das Dunkel saugt ihn auf wie Löschpapier.
Ich weiß nicht, lass ich noch mein Lämpchen brennen
oder verzieh ich mich ins Schlafquartier?

Na ja, an so‘n paar klitzekleinen Zeilen
blieb ich ein Weilchen doch noch gerne dran.
Das heißt fürs Wörterfinden und fürs Feilen
lass ich mir besser noch die Funzel an.

(Dezembertags, wenn früher schon die Fluten
der Schattenwogen lautlos uns umspüln,
seh gerne ich die Birne sich verbluten
in eiterbleichen, heißen Moleküln.)

Pardon, Verklammertes am besten streichen –
von Schrank sei nur die Rede und Regal;
und stellt euch vor: Die derben Bretter gleichen
den neuen noch von Anno dazumal.

Die Zeit, sie scheint mir hier so eingefroren,
als hätt man einen Winkel ihr gegönnt,
wo sie samt ihrem Schopfe ungeschoren
in aller Ruh einmal verschnaufen könnt.

Doch hat sie mir die Spuren eingeschnitten,
die ringsumher den Dingen sie erspart –
und dabei hab ich nicht einmal gelitten,
so still ging sie zu Werke und so zart.

Wer könnte sich verweigern ihrem Walten?
Dafür gibt’s nirgendwo ‘nen sichren Port.
Wohl hat sich mancher optisch gut gehalten –
doch auch im Innern nagt und frisst sie fort.

Sommers Erwachen

Sommers Erwachen, Claude MonetWie pünktlich ist der Sommer eingetroffen,
und wie der Frühling sich sofort verkroch!
Im Guten selbstverständlich, wolln wir hoffen:
“Leb wohl, und viele schöne Tage noch!“

Voll Blumen hinterließ er uns die Fluren,
die er des Winters kaltem Schoß entriss –
erst einzeln und danach in ganzen Fuhren
dem Horror unterird’scher Finsternis.

Mag nun der Sommer mählich reifen lassen,
was jener bis zur Blüte schon geführt,
bis die Natur auf allen ihren Gassen
die Gegenwart der süßen Früchte spürt.

Die 4. Strophe, diese, wollt ich weihen
dem Farbenrausch der Juli-Sinfonie –
doch will’s im Ansatz mir schon nicht gedeihen:
Der Taktstock klemmt auf einmal irgendwie.

(Wie peinlich ist’s mir, Les’rin, auszufechten
vor aller Augen hier den Seelenstrauß –
doch widersteht man jenen innren Mächten,
die heimlich herrschen in des Fleisches Haus?)

Drum soll der Lenz nicht einfach so verschwinden,
so völlig ohne Lob und Dankbarkeit –
will rasch ihm noch ein Lorbeerkränzchen winden,
dass auch besiegt erhobnen Haupts er schreit’.

O Frühling, schweigend bist du hingegangen,
dem Windhauch gleich, der leise sich verweht,
wie Röte auf beredten Mädchenwangen
in stille Blässe wieder übergeht.

So sang- und klanglos unsrem Blick entschwunden,
als wär ein Abschied nicht der Mühe wert,
als schämtest du dich deiner Erdenstunden,
weil du nicht selber Früchte auch genährt.

Doch unsre ganze Seligkeit hienieden
entspringt der Saat, die du einst ausgestreut.
Erst jetzt begreifen wir’s, da du verschieden
bei aller Glockenblumen Wehgeläut.

Wer ließe sonst so deutlich uns empfinden,
wie Leben aus den tiefsten Grüften steigt,
den muffig-feuchten und den maulwurfsblinden,
und sich so frisch und ungebrochen zeigt,

dass es im Kuss der apollin’schen Strahlen,
von göttlichem Verlangen ganz durchglüht,
aus seinen unsagbaren Winterqualen
sich in die Freiheit lichter Lüfte blüht?

Die Sommersonne brennt, doch ohne Feuer,
bebrütet nur, was Leidenschaft gebar,
dass sie, bemutternd bloß, die Frucht erneuer,
die bald sie opfert auf dem Herbstaltar.

Die Triebe aber, die dem Lenz entsprießen,
sie welken nicht und wittern nicht dahin.
Ja, immer höher nur ins Kraut sie schießen
mit übermütig-jugendlichem Sinn.

Wenn schließlich dann in seinen reifen Tagen
der Sommer prächtig sich durchs Leben schlägt,
wird manchmal wohl ihn sein Gewissen fragen,
wer diese Bahn so rosig ihm gelegt.

Vor dem Richterstuhl

Vor dem Richterstuhl, Honore DaumierHeut will ich eurer, Sänger, hier gedenken,
die ihr Apollos liebste Schüler seid,
ganz vorn auf des Parnassos stein‘gen Bänken,
das Rohr, die Lyra immer griffbereit.

Ich muss nicht lang euch erst beim Namen nennen,
die Tür an Tür ihr im Gedächtnis wohnt
der Menschen, die zum Worte sich bekennen,
das hoch über geschwätz‘gen Zungen thront.

Erlaubt mir, diese Zeilen euch zu weihen –
nicht als Votant, der euch um Segen fleht,
doch dass ihr meinen ständ‘gen Kritzeleien
mal musenkritisch auf die Pfoten seht.

Die hier ansonsten über Künste richten,
mir schleierhaft, wie ihren Spruch sie fälln!
Ob Goldschnitt, Ledereinband sie gewichten,
ob sie im Stillen Horoskope stelln?

Ob sie ergründen der Gedanken Tiefe,
den Klang empfinden, der sie stützt und trägt?
Ihr Lächeln schenken sie, doch dieses schiefe,
das seine Absicht selber widerlegt.

Unsterbliche, ich fleh euch um ein Zeichen,
mir zu gebieten „Weiter!“ oder „Halt!“ –
ein winziges, es würde mir schon reichen,
sofern es unverkennbar mir nur galt.

(Hier denkt euch eine Pause eingeschoben,
die vierzig, fünfzig Versfuß so umfasst,
dass die Juroren im Gewölk da oben
ihr Urteil bilden können ohne Hast.)

Ihr schweigt noch? Soll ich etwa selbst mich preisen
als einen Sangesbruder von Talent,
als Vater einer muntren Schar von Weisen,
die es wohl wert, dass sie Bewundrer fänd?

Ihr schweigt? Wollt ihr mich auf die Folter spannen
der Ungewissheit, die das Herz zernagt?
Oder passierten euch vielleicht gar Pannen,
dass ihr die Sache vorderhand vertagt?

Ihr schweigt? Ach, endlich habe ich’s begriffen!
Genau das eben ist als Wink gemeint!
Heißt’s nicht Wer schweigt seit alters schon geschliffen,
der offensichtlich zuzustimmen scheint?

Selbstporträt

Selbstporträt, Francis BaconSo ehrlich möchte ich mich zeigen
mit Worten auf Papier,
dass von den Zügen, die mir eigen,
nicht einen ich verlier.

Wie Meister Rembrandt ungelogen
sich seiner Kunst gestellt,
will Furchen, die die Zeit gezogen,
enthüllen ich der Welt.

Indessen wie den Anfang machen?
Gibt es nicht hunderttausend Sachen,
die so ein erster Pinselstrich
beginnen könnte meisterlich?

Am besten start ich mit dem Alter,
das ist ’ne Basis schon:
Der höchste Personalverwalter
schickt bald mich in Pension.

O weh, ein Kerl von solchen Jahren
hat doch ’ne Menge schon erfahren,
was auf dem werten Angesicht
in lust’gen Fältchen zu uns spricht!

Das muss ich jedenfalls bekennen:
Der Teint ist längst versaut.
Mag‘s jemand rau und männlich nennen,
ich nenn es alte Haut.

Und was da oberhalb der Stirne
den Schädel einst gedeckt,
hat rings sich um die nackte Birne
als Kränzlein ausgestreckt.

Wenn wir dann etwas tiefer schauen
an der Apollgestalt,
dann finden auf den Lymphen-Auen
ein Hügelchen wir bald.

Gewiss, gewiss, das sind Symptome,
wie sie in seinem Lebensstrome
wohl jeder mal erfährt,
der sich der Mündung näh‘rt.

Adonis bin ich nie gewesen,
doch was sie jetzt im Spiegel lesen,
die Augen, deprimiert,
sie beinah schon geniert.

Nur noch ein Schatten jener Tage
mit leidlicher Figur,
da keine überdrehte Waage
mir riet zur Hungerkur.

Die ungefügen Biomassen,
die kaum noch in die Hose passen,
ob Schicksal oder Schuld,
ich trag sie mit Geduld.

Nun, wenn denn dies schon alles wäre,
ich pfiff darauf wohl glatt,
doch in dem Buch der Krankheitslehre
ist auch für mich ein Blatt.

Ich muss mich nicht in Qualen winden
mit was wie Gallenstein,
doch seh dafür mir sacht entschwinden
den klaren Augenschein.

Das gilt auch für die Kunst zu hören,
die offenbar schon litt,
dass, lauschte ich den „drei Tenören“,
nur zwei bekäme mit.

Will jemand sich mit den Gebrechen
für meines Lebens Laster rächen?
Bin ’n kleiner Sünder bloß –
die Strafe wär zu groß.

Mehr möchte ich indes nicht schildern,
jetzt brauch ich meine Ruh –
malt euch in euren eignen Bildern
noch dies und das dazu!

Viel ehrlicher kann ich’s nicht sagen
als mit den Zeilen hier –
wär’s wohl auch mut’ger aufgetragen
auf Leinwand statt Papier!

Der Dichter

Der DichterWie Sie sich wohl `nen Dichter denken?
Lassen Sie mich raten, bitte sehr!
Ich glaube, ohne Sie zu kränken,
in dieser Weise ungefähr:

Ein Bursche, kränklich schon seit Kindesbeinen,
doch mit ‘nem starken Geist begabt,
mit Abscheu vor dem Niedrigen, Gemeinen,
der nur an Nektar und pp. sich labt.

Er pflegt in Gärten gern sich zu ergehen,
damit ihn Rosendüfte inspiriern,
ja, schon im Mai die blütenweißen Schlehen,
die rings des Feldrains Büsche ziern.

Und schreibend mit sensiblen Händen,
führt leicht er übers Blatt den Kiel,
Signale seines hohen Herzens auszusenden
in einem vornehm antiquiertem Stil!

Er hat sich seine eigne Welt erschaffen,
in der er wohler sich als in der wahren fühlt,
ein Eden ohne lieben Gott und Pfaffen,
vom Musenquell elysisch nur umspült.

Et cetera. Was sagen Sie? Hab ich’s getroffen?
Hab ich Apollos Jünger auf den Punkt gebracht?
Nur zu! Ich bin für Ihre Korrekturen offen.
Sie schweigen? Gut, das hab ich mir bereits gedacht.

Doch unter uns (ich denk, ich weiß, wovon ich rede):
Sie schleppen da ein Zerrbild mit sich rum.
Vergessen Sie die Einzelheiten schleunigst, jede!
Und nehmen Sie`s Zerpflücken mir nicht krumm!

Wenn ich mir auch nicht schmeichle, als Poet zu gelten,
sollte mein Beispiel Sie indes belehrn
und wo bisher, Pardon!, ein Vorurteil Sie fällten,
Ihr Blick sich für die Fakten klärn.

Die Welt, in die er taucht in stillen Stunden,
kann ihn von Alltagspflichten nicht befrein,
zu eisern ist an Amt er und Büro gebunden,
um sich allein dem Helikon zu weihn.

Ein Paradies kann ihm das schönste Lied nicht bieten
und Milch und Honig nicht der schönste Versefluss –
nur Planken sind`s im Meere der Quiriten,
an die sein Geist sich klammern muss.

Und was er schreibt, kliert er mit grober Klaue,
dass er`s zu Blatt erst einmal bringt –
Laokoon und seine Söhne schaue:
So heillos Zeile sich in Zeile schlingt!

Doch läuft er nicht in obsoleten Hosen!
Er ist geläutert vor Damaskus, ist schon Paul –
kein Freund rhetorischer Preziosen,
schaut er dem Volk gut lutherisch aufs Maul.

Ihn zu verstehn, muss man nicht Sterne deuten,
den del’schen Taucher nicht bemühn,
nicht den Gelehrten bitten, den zerstreuten –
fürs Schlichte muss man nur erglühn.

Und als ein Quell der reinsten Freude
gilt die Natur ihm jederzeit,
mit der er schmückt sein Versgebäude,
weil sie ein grünes Dach ihm leiht.

Doch über Veilchen, Rosen und Narzissen,
Holunder, Dost und Brombeerstrauch
schlägt ihm des “Boten“, Claudius‘ Gewissen:
„Und unsern kranken Nachbar auch.“

Mag er dem Schönen gern auch Blicke schenken,
verschließt er sie doch vor der Fratze nicht –
vor Monstern, die mit Blut die Erde tränken,
das aus den Wunden von Millionen bricht.

Und nicht als Tropfen nur, die fettig quellen,
nein, auch als feiste Ader auf der Stirn,
die dazu neigt, gleich anzuschwellen
aus Fremdenhass im unbedarften Hirn.

Spaliere liebt er, die sich unter Rosen biegen,
Gemäuer, das sich hoch zum Dome fügt,
doch ohne sich in diesem Wahn zu wiegen,
der sich zum Schönen stets das Gute lügt.

Wenn er auf kunsthistor`schen Pilgertouren
mit Staunen vor der Gotik steht,
sieht er des Glaubens grandiose Spuren,
doch auch des Jammers grause Majestät.

Was als Kultur wir überschwänglich preisen
ist nur der Aufsatz dumpfer Barbarei –
kann man mit Tryptichen die Armen speisen,
macht Maßwerk hör`ge Bauern frei?

Cellini hat man Morde gar vergeben,
nur dass er weiter modellier –
symbolisch fürs soziale Leben,
das Elend zu verbergen hinter Zier?

Wer sich erfreut an Bildern und an Tönen,
fühlt auch sich in den Nächsten ein –
die wahre Liebe zum Erhabnen, Schönen,
kann uns nur edel machen, nicht gemein.

Doch die, die alle Fäden der Ästhetik ziehen,
mit Kennermiene jedem Stück sich nahn,
Experten, Sammler, Händler, Galerien,
fühln statt dem Wert dem Markt nur auf den Zahn.

Sie lecken sich zu gerne nur die Lippen,
doch nicht aus Spaß am Kunstgenuss,
nein, weil sie auf ein hübsches Sümmchen tippen,
wenn Meister X mal untern Hammer muss.

Dazu warn viele ja, die heute unbestritten,
zu ihrer Zeit verspottet und verkannt
und in dem Sein, das für die Kunst sie litten,
nach allen ihren Regeln abgebrannt.

Mit Melodien, von jemandem erschaffen,
des Spur im Armengrabe sich verliert,
kann heute wer Millionen sich erraffen,
der ihn nur „kongenial interpretiert“.

(In eigner Sache eingeschoben:
Auch mir kommt keiner: „Gut, mien Jung!“
Mich wird wohl erst der Trauerprofi loben –
als Muss bei der Beerdigung.)

Doch wollt uns Salomo nicht lehren,
dass allen gleich die Sonne scheint?
Drum soll man Verse jedem auch verehren,
selbst wenn er ihren Sinn verneint.

Sich schenken ohne Gegengabe.
Und hoffen, dass man einige erfreu,
die`s, mehr auf Sein begierig denn auf Habe,
nicht schaudert vor dem geistigen Gebräu.

Doch nicht wie einer, unter Räuber grad geraten,
in heller Panik ihnen alles überlässt –
nein, die Gedanken wägend und die Taten,
zu nichts gezwungen und gepresst.

Kein Milchgesicht von stubenreiner Blässe,
von Pickeln pink und peinlich übersät
als Folge ungezählter geist’ger Aderlässe
und mickrig-magenschonender Diät.

Nein, einer, dessen rosig-runde Backen
er guter Hausmannskost verdankt,
nach der in plötzlichen Attacken
es sein Gelüste oft verlangt.

Und nicht gewillt, nur Feingeist zu verblasen,
kratzt er auch manchmal wem am Lack –
Hautgout ist nicht nur was für Hasen,
auch bei Honor’gen müffelt’s unterm Frack.

Kurzum: Wir müssen uns von Spitzweg lösen,
der drollig uns den Dichter porträtiert:
als zipfelmützig unbedarftes Kammerwesen,
das sich heroisch durch die Verse friert.

Würd dafür heute jemand Hunger leiden?
Sich für ’ne Handvoll Reime ruiniern?
In teures Tuch will man sich kleiden,
mit Kettchen seine bronznen Glieder ziern.

(Sie sehn: Ich hab den Trampelpfad verlassen,
auf dem ich selbst virgilisch neben Ihnen ging.
Das Folgende mag für die Starpoeten passen –
nicht mehr für mich als bloßen Dichterling.)

Wo war ich eben doch noch stehn geblieben?
Ach ja, ich hatte mich dem Mammon zugewandt,
den unsre Literaten heute derart lieben,
dass wohl ihr Unwort wär: Verkannt.

Man möchte in der Musenliga ganz nach oben,
die Spitze sich erobern in der Bücherschlacht,
nur Sachen liefern, die die Texte-Schiris loben,
auf dass mit „Toren“ man schön Kasse macht.

Sind Sie nicht auch schon mal so tief gesunken,
dass denkfaul Sie sich diesen Listen anvertraut
und von der süff’gen Sülze der Skribenten trunken,
begeistert `nen trivialen Fraß gekaut?

Ist Ihnen dabei denn nichts aufgefallen?
Na, dieses Muster, dieses ständige Rezept:
Sich hauen, stechen, prügeln und verknallen –
schön zeit- und ortsexotisch aufgepeppt?

Was Helden so in Kassenschlagern treiben,
das hat System, wie`s den Autoren nützt –
die möglichst platte Sensationen schreiben,
auf die sich gern ein Drehbuch stützt.

Ich will’s mal bissig formulieren,
weil mich womöglich Neid bewegt:
`ne Lyra kann man noch so schmieren,
das Publikum sie kaum erregt.

Viel Action, Puppen und Randale –
da liegen Film und Prosa vorn.
Das Schlichte, Sanfte, Minimale
verdient sich keine goldnen Sporn.

Und überhaupt: Sich Thriller auszudenken!
Gibt’s davon „live“ nicht schon genug?
Warum dem Bösen so viel Augen schenken?
Ist das nicht auch ein böser Zug?

Warum denn Blumen nicht besingen,
ganz harmlos, ohne krumme Tour?
Auch wenn sie Quoten nicht erringen –
sind es nicht Wunder der Natur?

Vers-Piraten

Vers-PiratenWie ein Korsar der sieben Meere:
Gekapert wird nach Herzenslust,
doch gegen die Piratenehre
mit Platzpatronen auf die Brust.

Der Säbel spaltet nur Melonen
(weil sie des Menschen Rübe gleich),
um dieses Hirnes Mark zu schonen,
das lebend so gedankenreich.

Kein Opfer muss in Ketten schmachten
für seiner Reise schnöden Rest,
weil mit dem Wink es abzuschlachten
sich wer ein Lösegeld erpresst.

Und auch den aufgebrachten Damen,
die ängstlich unter Deck man fand,
begegnet man in einem Rahmen,
der wen’ger ruppig denn galant.

Beharrlich trotzt man und verbissen
auch Stürmen bei dem harten Job,
doch statt den Totenkopf zu hissen,
führt man Apollo stolz im Topp.

Heißt: Heimathafen an der Quelle,
die aus dem Musenhügel springt
gleich unterhalb der Zitadelle,
die man mit Künsten nur bezwingt.

So sucht in sämtlichen Gewässern
der Dichter Gold und Diamant
und bringt in seinen Versefässern
doch oft nur Gammel mit an Land!

Alter Niesbrauch

Alter NiesbrauchKann mir ein Arzt das mal verklickern?
Kaum dass Apoll ich mich empfahl,
schon Tropfen aus dem Zinken sickern
und ich muss prusten viele Mal.

Ein rechter Schnupfen will’s nicht werden;
der Anfall klingt beizeiten ab.
Kein Schmerz noch sonstige Beschwerden –
und doch ein Fall für Äskulap?

Den alten Griechen galt das Niesen
als günstiges Orakel noch:
Ob gar die Musen selbst mir bliesen
den Kitzel keck ins Nasenloch?

Und dann auch noch in dieser Stärke –
ein zusätzlicher Fingerzeig,
dass ich mit meinem Dichterwerke
das Maß des Guten übersteig?

Wer will der Götter Zeichen deuten?
Wie oft, ach, sie uns schon genarrt,
dass unsern Eifer wir bereuten,
mit dem wir nach Schimär’n gescharrt!

Hab ich nicht bessere Beweise
als diesen Reiz, der sich entlädt,
beschwör ich nicht die höchsten Kreise
für meine Sangesqualität.

Dies Niesen hält mir treu die Stange
und raubt Gedanken mir und Wort –
es dauert aber nicht so lange,
und in den Pausen reim ich fort!

Kein Herkules

Kein HerkulesDer Vollmond wär es wert gewesen,
dass ich ihn lyrisch angebellt,
doch war ich noch beim Blütenlesen
auf einem andern Musenfeld.

Er hat sich nicht die Müh genommen
zu kurzem ruhenden Verkehr –
erhobnen Hauptes fortgeschwommen
ist zügig er im Wolkenmeer.

Nun liegt der Himmel unbeleuchtet,
nicht mal gespickt vom Sternenschein,
indes allmählich Tau befeuchtet
der Bäume lichte Blätterreihn.

Grad hat es Mitternacht geschlagen,
unhörbar mangels Kirchenuhr,
und auch die Geister, die jetzt tagen,
verraten sich gedanklich nur.

Romantik einer Bahnhofsgegend:
Tristesse von Schmuddel und Verfall.
Der Dichter, sich darin bewegend:
Apollo im Augiasstall.

Doch ohne Chance auszumisten,
was Herkules allein vermag.
So muss ich denn hier weiternisten
in meinem sauberen Verschlag.

Die Kunst indes wird drum nicht leiden,
sie ist genügsam wie das Vieh.
Wo immer Pegasus wir weiden,
ihm reicht ein Häufchen Fantasie.