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Ausweg

AuswegAn allen Ecken, allen Enden
macht sich in Fetzen Schnee noch breit.
Noch hält die Erde nicht in Händen
des Frühlings bunt geblümtes Kleid.

Der Frost hat noch mal zugeschlagen
mit winterlicher Urgewalt –
wie’n Boxer in des Gegners Magen,
genauso tückisch und so kalt.

Er bläst mich durch die morschen Ritzen
des Altbaus so verbissen an,
dass ich am Ende nur noch flitzen
und dicke Socken holen kann.

Er treibt mir Schauer übern Nacken –
verbrannte Erde: Gänsehaut,
dass vom Genick bis zu den Hacken
es vor dem Knochenmann mir graut.

Er lässt mich Trost im Roten suchen,
dass er die Glieder mir durchglüh –
und mit ‘nem spött’schen „Pustekuchen!“
mein Musenpferd ich ent’re: Hüh!

Das hat ‘ne wärmende Schabracke
und Hufe, die mit Spikes bestückt,
so dass die klirrende Attacke
dem Sibirjaken hier missglückt.

Um zum Parnassus aufzusteigen,
ist immer irgendwo ein Pfad.
Man muss sich nur geduldig zeigen,
dann geht es aufwärts, Grad für Grad.

Leichte Beute

Leichte BeuteKommt, stellt euch schön an meine Seite,
und leiht mir euren spröden Leib,
dass ich mit eurer Hilfe schreite
zu meiner Nächte Zeitvertreib!

Auf dem Tablett die grüne Flasche,
die aus La Mancha angereist;
ein Cheddar in der Backentasche,
der würzig in den Gaumen beißt.

Auf einem kleinen runden Teller
die Kerze lautlos sich zerflennt,
dern Flämmchen ganz gewiss nicht heller,
doch wärmer als die Lampe brennt.

Ein Blatt Papier mit Unterlage,
damit kein Fettfleck es beschmutzt
an einem Tisch, der unterm Tage
als Futterstelle mehr genutzt.

Das sind so meine Spießgesellen,
mit denen den Parnass ich stürm,
von wo ich auch in vielen Fällen
nicht ohne Beute wieder türm.

Das Magazin geraubter Lieder
ist gut gefüllt inzwischen schon,
und Nachschub kriegt es immer wieder,
da ungeschützt der Musenthron.

Nur eine Handvoll kühner Recken:
Wein, Käse, Kerze – und er fällt!
Wieso gibt’s da an allen Ecken
denn nicht mehr Dichter auf der Welt?

Traumwein

Traumwein„’nen Franzen mag kein Deutscher leiden,
doch seine Weine trinkt er gern“ –
ich würd den Wortlaut nicht beeiden,
doch ist von Goethe er im Kern.

Von so ‘nem Kopfe ‘ne Sottise?
Ich hoff, er hat’s nicht so gemeint,
sonst spräche ja ein Geistesriese
wie’n Blödmann vom ererbten Feind!

Nun ja, ich hock hier vor ‘nem Roten,
der auch nicht aus teuton’schem Land,
doch allerbestens zu benoten –
aus Neu-Kastilien hergesandt.

Da hat die Sonne drauf geschienen,
die einst dem Ritter auch gelacht,
der, seiner Dame ernst zu dienen,
zum fahr’nden Narren sich gemacht.

Noch heut sind seiner Heimat Hügel
von Mühlen hier und da bedeckt,
dern morsche, windzerzauste Flügel
des Edlen Lanze wohl geschmeckt.

Wiewohl ich hier im Dunkeln tappe:
Vielleicht trank er schon diesen Wein,
genauso wie sein treuer Knappe,
der maulend ritt ihm hinterdrein.

Fühl ich doch selber, wie zum Träumen
von ihm ich mich verführen lass.
Drum nicht mehr in La Mancha säumen –
auf, Rosinante, zum Parnass!

 

Planung

PlanungPunainen mökki, peruna maa
(„Rotes Häuschen und Kartoffelfeld“, d. h. genug fürs Leben),
finnisches Sprichwort

Hab ich mir jemals groß Gedanken
über den Lebensweg gemacht?
Mein Ehrgeiz hielt sich stets in Schranken,
mein Sinn stand nie nach Prunk und Pracht.

Was lernen, ‘nen Beruf ergreifen,
der mir gefällt und mich ernährt,
auf alles andre konnt ich pfeifen;
Karriere? Muster ohne Wert.

Gemächlich und in Frieden leben
mit jemand Liebem im Verein;
auf Macht nichts und auf Mammon geben,
ein Mensch nur unter Menschen sein.

So war auch nie ich mir im Klaren,
was einmal aus mir werden sollt –
wo zu Dentisten und Notaren
die meisten wurden doch gewollt!

Zu Ärzten und zu Professoren,
zu Ökonomen, Ingenieurn,
um in ‘nen Job sich zu verbohren,
auf dessen Rang und Ruf sie schwörn.

Ich ließ mich einfach immer treiben
von Neugier, Neigung, Lethargie,
um stets ein Vagabund zu bleiben
im Märchenland der Fantasie.

So mocht es wohl für Nahrung reichen,
doch nicht für Gold und Ehrenpreis.
Der Zufall stellte mir die Weichen –
bis hin zum Rentnerabstellgleis.

Doch hier, von jedem Zwang entbunden,
mich zu erklärn für dies und das,
hab endlich ich mein Ziel gefunden:
den Musen dienen, dem Parnass.

 

Wieder Abend

Wieder AbendWie immer ist es still geworden,
wenn sich der schwarze Vorhang senkt
und jener hohe Stern im Norden
des Träumers Blicke auf sich lenkt.

Indessen Nebelfäden spinnen
die Häuser immer dichter ein
und hüllen in das feinste Linnen
den gänsehäut’gen Mauerstein.

Wie kräftig muss der Mond da schwimmen,
dass er den Wolkendunst zerteilt,
um immer höher aufzuklimmen,
bis er den Augen fast enteilt!

Ich seh auch heute ihn wie immer
vom Tisch, wo ich den Musen dien
und der nur schwach erhellt vom Schimmer
des Flämmchens auf dem Stearin.

Die Flasche noch, das Blatt, die Feder –
damit wär’s Arsenal komplett,
mit dem ich kräftig zieh vom Leder
für das parnassische Nonett.

Mich zu ermuntern, summt die Therme,
schlägt spitz die Wanduhr mir den Takt,
verzehrt die Kerze sich vor Wärme,
dass mich die Schaffenshitze packt!

Und langsam, ohne mich zu hetzen,
erbau ich des Gedichts Struktur,
so wie die Maurer Steine setzen
mit Wasserwaage und mit Schnur.

Und seh es wachsen Zeil’ um Zeile,
bis seine Größe es erreicht,
indes ich unentwegt dran feile,
dass es auch wirklich Großem gleicht.

Meist ist zusammen mit dem Ende
des Roten auch das Werk vollbracht –
sonst spuck ich morgen in die Hände
erneut bei Stille, morgen Nacht.

Wieder Musendienst

Wieder MusendienstZu dieser vorgerückten Stunde
(den Ausdruck prägte wohl ein Tor,
denn, sei er auch in aller Munde,
die Zeit rückt immer ja nur vor)

Zur Stunde also, dieser späten,
füg ich korrekter nun hinzu,
knie vor der Muse ich, zu beten,
dass sie zu segnen mich geruh

Mit Versen allerfeinster Ware,
wie sie nur je ein Dichter spann,
dass er sie ihr auf dem Altare
als fromme Spende weihen kann.

O Götter ihr der alten Griechen,
wie rasch werft’s Echo ihr zurück:
Schon fängt’s an, brenzlig hier zu riechen –
ach so, die Kerze, na, zum Glück!

Mir scheint es immerhin ein Zeichen,
das pfiffig der Parnass gesandt,
ich möcht von meinem Ziel nicht weichen,
für das mein Herz so heiß entbrannt.

Schon ist es mir ja auch gelungen,
den Zeilen Wohnungen zu baun,
die, so in Strophen eingezwungen,
gewiss sehr künstlich anzuschaun.

Noch ein paar mehr von diesen Buden
im abgemessenen Geviert,
mit Möbeln aus dem Rechtschreibduden
ganz standardmäßig ausstaffiert

Dazu in jeder Zimmerecke
(auch dies im allgemeinen Trend)
zu höherem ästhet’schen Zwecke
ein Reim als festes Ornament

Und fertig ist zu meiner Freude
als Dithyramben-Architekt
das wundersame Luftgebäude,
das sich in Babels Bläue reckt!

Ich glaub, ich kann schon innehalten
und Richtfest feiern auf Papier.
Und jetzt noch mal die Hände falten:
O Helikon, gefällt es dir?

Kaum ist die Spannung zu ertragen.
Das Urteil – kontra oder pro?
Da Hermes, um Bescheid zu sagen,
persönlich, nicht per Mail und so!

Ja, ja, ja, ja! Wird angenommen
nach uralt heil’gem Götterbrauch,
den Unsterblichen nahzukommen –
in Feuer und in Rauch!

Stille, urban

Stille, urbanNoch immer sprüht der feine Regen,
der tags das Pflaster schon getauft.
Die Stadt empfängt den Abendsegen,
legt hoch die Füße und verschnauft.

Aus ungeliebten Läden stahlen
davon sich, die da dienstbereit.
Die Ware träumt in den Regalen
vom Ende ihrer Haltbarkeit.

Die Ämter haben längst geschlossen.
Der Bänker zählt sein Geld zu Haus.
Die Strähnen, die ins Kraut geschossen,
dünnt Figaro erst morgen aus.

Selbst der Pedell hat ausgeklingelt
mit seinem Riesen-Schlüsselbund
und sich zum Schnarchen hingeringelt
gleich neben seinen Schäferhund.

Wer noch nicht alles hingeschmissen,
dass er das Nachthemd überstreif,
guckt Krimis auf dem Sofakissen,
so lange bis der Hintern steif.

Nur selten eine solche Stille
wie heute auf den Dächern lag!
Ich glaub, das Zirpen einer Grille,
es dröhnte jetzt wie Donnerschlag.

Mal abgesehen von Lokalen
hat jetzt nur eins noch Konjunktur:
das Auto, das mit Schallsignalen
den Vordermann jagt aus der Spur

Um Kranke ins Spital zu retten;
zum Ort der Missetat zu eiln;
Verbrecher doppelt anzuketten
und Lebensmüde abzuseiln.

(‘ne ganze Menge guter Zwecke,
das geb ich selber zu, gewiss,
doch kommt das ständig um die Ecke
so plötzlich wie ein Wadenbiss

Und klingt nicht mehr wie die Sirenen,
die von Odysseus man noch kennt,
dass alles andre als ein Sehnen
im Busen seufzend mir entbrennt!

Es gilt indes, Tribut zu zollen
der Gegend, wo man residiert.
In mancher hilft nun mal kein Schmollen,
weil einfach schrecklich viel passiert.)

Nun wollte ich von Stille schreiben
und hab euch was vom Lärm erzählt!
So weit vom Thema abzutreiben,
das heißt doch wohl, man hat’s verfehlt.

Soll ich den Faden wieder knüpfen,
versuch ich’s noch einmal von vorn?
Ach, lieber in die Koje hüpfen:
Schon wieder Blaulicht, Martinshorn!

Kein gutes Pflaster für Poeten,
dem feinre Viertel förderlich –
doch Lyrik, leider, und Moneten,
das ist ein Widerspruch in sich.

So dicht’ ich gegen Widrigkeiten
wie diese „Stille“ im Quartier
und, mag mich auch der Teufel reiten,
ich nenn sie einfach höllisch hier!

Da könnte mich ein Reemtsma retten,
Lokalmäzen für dies und das :
Ich würd nach Blankenese jetten,
direktemang auf den Parnass.

Auf leisen Sohlen

Auf leisen SohlenGrad hab ich ihn doch noch gesehen
da oben ganz verhuscht und klein,
ein Nachtgespenst auf leisen Zehen
in seinem eignen Mondenschein.

Nun hat er sich davongeschlichen –
ich war inzwischen abgelenkt
von meinen lyr’schen Pinselstrichen,
hab keinen Blick ihm mehr geschenkt.

Und was er hinterließ, ist Leere,
in die er keine Spur geprägt!
Die Finsternis in ganzer Schwere
hat auf die Dächer sich gelegt.

Da sieht man keine Sterne glühen
wie Feuerqualln in salz’ger Flut,
wie Lilien, die im Meere blühen
von Gras mit chlorophyllnem Blut.

Schaute man näher, feine Schlieren
Gewölks man nur gewahren würd,
wie einen Kaffee sie auch zieren,
wenn schlechte Milch man drin verrührt.

Und hier die Stadt in einer Stille,
als ob man sie erdrosselt hätt,
als läge ohne Wunsch und Wille
sie auf des Asphalts Totenbett.

Der Ton, der jähe, ‘ner Sirene
auf Rädern wie Erlösung klingt –
was ich besonders hier erwähne,
weil er mich sonst zum Heulen bringt.

Ein bisschen Leben auf den Gassen
empfiehlt sich auch zur Abendzeit.
Man fühlt sich weniger verlassen,
auch wenn man ihm sein Ohr nur leiht.

Da blitzt’s auf einmal in der Weite
des Himmels wie ein Streichholz auf,
ein Flämmchen zieht sich in die Breite,
und, husch!, erlischt’s in seinem Lauf!

Als Wink nehm ich dies gute Omen
und komm herunter vom Parnass.
Drum tschüs, ihr Verben und ihr Nomen –
ich geh ins Bett und wünsch mir was!

 

Höhenflug

HöhenflugZur Stunde, da die Straßen schweigen
und Licht sich in den Mauern rührt,
hock ich mich hin, um zu besteigen
den Pfad, der zu den Musen führt.

Wie rau er ist und stark gewunden,
wie er so steil zum Gipfel klimmt!
Und muss ihn ganz allein erkunden,
da keiner an die Hand mich nimmt.

Ein Kerzlein nur mit trübem Scheine
durchzittert mir die Dunkelheit,
und nirgends seh ich Meilensteine,
die stumm mir sagten, noch wie weit.

Da kommt mir wenigstens entgegen
der Trank, den ich als Zehrung hab,
dass ich auf solchen wüsten Wegen
nicht trocknen Halses weitertrab.

Und kein Gedanke, aufzugeben,
geht’s weiter auch nur Stück für Stück!
Sich zu den Göttern zu erheben,
braucht’s eher Zähigkeit als Glück.

Zumal ich ja schon diese Zeilen
nach oben kraxelnd mir ersann,
dass nach dem Aufstieg ich, dem steilen,
mich als Poet beweisen kann.

Schon seh ich aus den Schatten schimmern
geheimnisvoll ein großes Licht,
so groß, wie’s aus den tausend Zimmern
gigantischer Paläste bricht!

Parnass! hör ich mich bebend flüstern
und wie es lauter schlägt, mein Herz,
und bang nach diesem Meer von Lüstern
schlepp ich mich weiter himmelwärts.

Doch an dem Tore angekommen,
auf dem doch meine Hoffnung ruht,
wie matt fühl ich mich und beklommen,
wie kraftlos, ach, und ohne Mut!

Ich wage nicht, an ihr zu rütteln,
an dieser Pforte hoch und hehr,
aus Angst, die Musen möchten schütteln
sich vor Gelächter wie Homer

Wenn sie den Streuner da erblicken
mit seiner Verse dürft’ger Fracht
und ohne Einlass heim ihn schicken
durch eine finsterere Nacht.

Aus freien Stücken ich verlasse
für heut der Dichtung heil’gen Grund.
Doch glaube keiner, dass ich passe!
Zu andrer Straßenschweigestund…

Des Sängers Lohn

Des Sängers Lohn„Ich hân mîn lêhen, al die werlt!“,
so jauchzte einst ein Dichtermund;
wenn Schampus auch noch nicht geperlt,
floss Wein doch bis zur Morgenstund.

Denn Walther von der Vogelweide
gab sicherlich ein Freudenfest,
als nach feudalem Treueeide
ein Gütchen er ans Herz gepresst.

Mein Gott, was warn das noch für Zeiten,
als man für Verse so belohnt,
für seine Zungenfertigkeiten
auf einem Herrensitz gethront!

Im alten Rom schon, wo Klienten
von ‘nem Patron versorgt wir sehn,
da förderte man mit Talenten
Talente. So ja auch Mäzen.

‘nen Gutshof er Horaz verehrte,
idyllisch im Albanerland,
der gern Gesänge damit nährte,
weil er die Gegend fruchtbar fand.

Ja, Versepfründe zu genießen,
gelang auch noch in neu’rer Zeit,
weil Herrscher sich nicht lumpen ließen,
wenn Hymnen ihnen wer geweiht.

Für so was kriegt man heutzutage
‘n Ei kaum und ‘n Butterbrot.
Die geistige Großwetterlage,
so ist vom Wandel sie bedroht!

Würd heute wer ein Loblied schmettern
auf eines Kanzlers Regiment,
im besten Fall dankt’ ihm in Lettern
mit schönen Gruß sein Referent.

Statt sich an Lyrik zu erfreuen,
an Wort gewordener Musik,
schätzt unsre Zeit den lesescheuen,
den technogeilen Disco-Freak.

Der gern entpult für seine platten,
doch ohrwurmträcht’gen Grölerein
des Portemonnaies gegerbtem Schatten
manch wanderlust’ges Eurolein.

Für Dichtung fehlt ihm die Antenne,
obwohl er sich poetisch fühlt,
wenn’s assonantische Geflenne
der Songs ihm in der Seele wühlt.

Empfindung für die fein’ren Töne –
ein Luxus, dem er gern entsagt.
Er will das Grobe, das Gedröhne,
er will der Reize irre Jagd.

Wer rückt Parnass noch auf die Pelle,
wer schaut ins Maul noch Pegasus?
Vereinsamt die Poetenquelle,
voll Bitterkeit der Musenkuss.

Was soll’s. Ich will mich nicht beschwern,
schreib gern auch ohne Dichterruhm.
Vielleicht wird man mich niemals ehrn.
Was soll’s. Vielleicht auch erst posthum.