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Begegnung im Backshop

Begegnung im BackshopSie kam nur langsam von der Stelle,
nur Zentimeter Bein für Bein.
Ein Hindernis: die Ladenschwelle,
für Sportler selbst ein Stolperstein.

Und immer weiter stückchenweise,
bis an der Theke sie dann stand,
wo diese mühevolle Reise
für ‘n Augenblick ihr Ende fand.

Das heißt: Bestellung aufgegeben,
gewartet, bis die Sachen da,
und dann auf dem Tablett sie heben
zu einem Plätzchen möglichst nah.

Balanceakt wie auf einem Seile:
Schritt, ruhig Atem holen, Schritt –
fürn Kuchen braucht’s ja keine Eile,
kalt nimmt er sein Aroma mit.

Geschafft, und glücklich Platz genommen,
Besteck ergriffen, zugelangt.
Mag’s wohl, wünsch still ich, ihr bekommen,
die um dies bisschen so gebangt!

Erst als sie zu mir rüberguckte,
wir saßen uns ja vis-à-vis,
schien ihre Haltung, die geduckte,
mir plötzlich seltsam irgendwie.

Ein Antlitz, das die Jugendzüge
beinahe unverwelkt bewahrt,
als ob’s der Zeit ein Schnippchen schlüge,
die andres ihr doch nicht erspart.

Die Glieder schwer, gebeugter Nacken,
der Greisin schleppend-schiefer Gang.
Erwartungshaltung: Hängebacken
und Falten alle Naselang.

Doch Gorgo nicht und nicht Xanthippe,
kein Konterfei, das einen schreckt,
vielmehr ein Stück aus Adams Rippe,
das durchaus Appetit erweckt.

Oder muss anders ich’s betrachten,
das hier beschriebne Phänomen:
Die Dame noch als jung erachten
und doch auf morschen Knochen stehn?

Weil diese, die noch jung an Jahren,
ein Missgeschick erlitt, ein Leid,
dass ihr nicht mehr so dienstbar waren
die Körperstützen vor der Zeit?

Auch die Erklärung könnte passen.
Der Fall indes bleibt rätselhaft.
Schon bald hat sie den Shop verlassen.
Ganz langsam. Und doch voller Kraft.

Abendlied

AbendliedHätt ich’s nicht tausendmal beschworen,
weiß Gott, ich pfiff’s euch wieder zu –
das Lied der Nacht, die just geboren
aus Dämmerung und Abendruh.

Doch will ich nicht den Mond besingen,
wenn er sich groß mit Licht auch sträubt,
so wenig wie die Engelsschwingen,
die ganz mit Sternengold bestäubt.

Kein Wörtchen auch von jener Kühle,
die dampfend aus den Mauern steigt,
dass sie die Straßen überspüle
mit einem Dunst, der frostig schweigt.

Und auch den Wind soll nicht beschreiben
die Feder, die ich heute führ,
der flau vom fleiß’gen Blättertreiben
jetzt nicht mehr rüttelt an der Tür.

Noch wen’ger will ich davon schwätzen,
dass kaum ein Auspuff wo noch pafft
und Autos nicht mehr heimwärts hetzen
mit zügelloser Pferdekraft.

Ja, auch der Vögel nicht gedenken,
die ihre Flüge eingestellt
und keinen müden Piep mehr schenken
der kalten, sonnenlosen Welt.

Geschweige Menschen denn beschwören,
dern Schritte hier und da noch halln,
die umso deutlicher zu hören,
da jäh sie in die Stille falln.

Nein, nein, ich will euch heut nicht quälen
mit Sprüchen, die schon so ‘nen Bart,
und euch die Zeit, die kostbar, stehlen
für ‘ne poet’sche Butterfahrt.

Da wir nun einmal Nacht schon haben
und mörderisch gespannt ihr seid,
will ich nach seltnen Versen graben
im Schutze dieser Dunkelheit.

Schon kommt mir einer auf die Schippe,
den, Jesses!, ich noch nie gesehn:
„Als Sokrates würd mit Xanthippe
allmählich ich jetzt schlafen gehn.“

Ein Schmuckstück. Doch herbeigezogen
wie an des Kairos schopf’gem Haupt.
Na, nichts für ungut; bleibt gewogen,
dem, der euch so die Nerven raubt!