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Früh verdunkelt

frueh-verdunkeltSchon gehn die Tage zügiger zur Neige,
ergeben früher sich der Dämmerung.
Der Nacht gebieterisches „Schlaf und schweige!“,
es liegt halb zehn schon wieder auf dem Sprung.

Noch kürzlich zeigten hell sich die Fassaden
der Häuser drüben um die gleiche Uhr,
die nun verschämt schon ihre Ziegel baden
im Dunkel der erschlaffenden Natur.

Und meine Klause, die in vollem Lichte
den alten Möbelstücken Glanz verlieh,
verdüstert sich, als wär’s zum Weltgerichte,
klingt neun Mal erst die Kuckucksmelodie.

Der Kühlschrank mit den schneeig weißen Wänden,
ein Block, wie aus poliertem Firn gehaun,
steht hoch schon über seinen steifen Lenden
in Schatten, die sich mählich höher staun.

Auch ihn, den Vorhang mit den aufgedruckten
Silhouetten von Henne und von Hahn,
die rabenschwarzen Mäuler schon verschluckten
bis fast ans Ende seiner ausgerollten Bahn.

Der Kaktus ebenfalls in Nichts zerflossen
samt seinem stopp’ligen Dreitagebart!
Wo er gewurzelt, mäßig aufgeschossen,
hat nur die Furcht vor Stichen sich bewahrt.

Und wie ein Spuk in nachtverlassner Heide,
des Wanderers beklommnes Herz zu narrn,
scheint reglos nahezu und weich wie Seide
die Heizungsflamme in den Raum zu starrn.

Doch da ins Dunkel alle sie enteilen,
die tausend Dinge meiner kleinen Welt,
erglänzen umso heller diese Zeilen,
auf die des Lämpchens trauter Kegel fällt.

O hauche, Schimmer, ihnen deine Seele,
des Lichtes fleckenlose Tugend ein,
dass ihnen Klarheit nicht noch Wärme fehle
noch eines glüh’nden Herzens Feuerschein!

Und lass sie, die von Finsternis umgeben,
die täglich gegen meine Mauern rennt,
wie ein Fanal dagegen sich erheben,
das weithin leuchtend für die Musen brennt!

Auf der Küchenbank

auf-der-kuechenban-hendrik-terbrugghenSo wie ich’s, einz’ge Les‘rin, dir versprochen,
bring wieder Ernstes ich hier aufs Tapet.
Was hälst du etwa von den Diadochen,
Karthagos Fall und Nero als Poet?

Das träf den Nagel auf den Kopf mitnichten?
Dir graut’s vor so was wie Geschichte gar?
Vor Fakten, die zu Zahlen sich verdichten
als unentwegter Schlachten Jammerjahr?

Versteh, versteh. Es soll an mir nicht liegen,
hab schließlich auch noch andre Themen drauf.
Was Biologisches gefällig: Fliegen?
Lass ich für sie den Worten freien Lauf?

Da seh ich wieder dich die Mähne schütteln
und wie’s im Auge widerwillig blitzt:
Du lässt nicht an der Überzeugung rütteln,
dass so ein Brummer keinen Charme besitzt.

Liegt’s an dem Tierchen nur, dem naseweisen,
das uns mit seinen Kapriolen narrt
und seinem planlos unerschrocknen Kreisen
auf des Instinkts verbrieftem Recht beharrt?

Ich kann’s dir auch ‘ne Nummer größer bieten –
willst etwa von den Bestien du hörn,
von Meister Nobel und den Katz-Eliten,
erklärten Feinden von Spinat und Möhrn?

Daneben! Wieder nicht den Punkt getroffen.
Ich seh’s dir, Les‘rin, an der Nase an.
Für Zoologisches bist du nicht offen,
sei’s in der Stube, sei’s in der Savann.

Doch bin ich, der in mancherlei beschlagen,
auch von Physik nicht völlig unbeleckt;
ein Verslein über diese Kunst zu wagen,
wär nichts, was meine spitze Feder schreckt.

Erzähl ich dir von Keplers Geistesblitzen,
die uns erleuchtet der Planeten Bahn,
dass sie elliptisch um die Sonne flitzen,
Gesetzen folgend, ewig und profan?

Soll ich auf Newton einen Hymnus singen,
der gleichfalls Wundersames offenbart –
dass bei den zig zig körperlichen Dingen
die Attraktion sich mit der Masse paart?

Du wendest, einz’ge Les‘rin, dich mit Grausen,
pfeifst auf den strengen Kodex der Natur?
Dein Recht. Indes soll mich der Affe lausen,
weiß ich nicht anderweitig Remedur.

Schon immer machte mich die Heilkunst schwärmen,
die unsre Leiden lindert und behebt,
die Kenntnis von Gefäßen und Gedärmen
und allem, was intern so in uns lebt.

(Damit sie läuft, die flotte Limousine,
muss man die Haube lüften dann und wann,
damit man hier, im Herzen der Maschine,
des Ganzen Wohl und Wehe prüfen kann.)

Da liegst du eines Tages siech zu Bette
und fühlst dich grad so elend wie ein Hund.
Mit matter Hand ergreifst du die Tablette
und schluck!, bist du schon wieder kerngesund!

Dies scheint dir größre Neugier zu entlocken,
doch ist noch immer nicht das A und O.
Da heißt es weitermachen unerschrocken,
bis du der Verse endlich rundum froh.

Chemie? Um faustisch Antwort dir zu geben,
was diesen ganzen Sums zusammenhält?
Den Teppich aus Atomen nachzuweben
zum bunten, lückenlosen Bild der Welt?

Ein schwerer Kern, umschwirrt von Elektronen,
geladen beides, doch im Gegensinn,
ihr schöner Bund besiegelt von Photonen
und andren Wichten, geisterhaft, mit Spin?

Du bist so ehrlich, mir nicht zu verhehlen,
dass dir auch dieses Genre nicht gefällt
und eher solche Dinge für dich zählen,
dern Dasein bloßes Tageslicht erhellt.

Nun sieh mich doch an meine Grenze kommen:
Was tun, wenn alle Wissenschaft versagt?
Verzeih, gehörst du etwa zu den Frommen,
die auch poetisch auf Erlösungsjagd?

Erwartest du, dass ich in Göttersphären
auf Schwingen süßer Hymnen dich entführ,
die Hoffnung auf ein Paradies zu nähren
mit Petrus an der goldnen Flügeltür?

Mit Engeln, die auf ewig Harfe zupfen,
unnahbar nonnenhaft in Weiß gehüllt,
da Lämmer mannagleiche Gräser rupfen
und unser Münchner Halleluja brüllt?

Bist du des Ostens Weisheit gar erlegen
und wandelst Buddhas achtfach rechten Pfad,
dem Wolln und Wirken unsrer Welt entgegen
und zum Nirwana mit dem besten Draht?

Ach, welcher Unsinn wär es zu vermuten,
dass dir Erbauliches am liebsten wär!
Hätt’s dich denn sonst in meinen Versefluten
so sicher fortgetrieben bis hierher?

Mein Geist, verzweifelt ringt er nun die Hände,
will wissen, was dich bei der Stange hielt –
indes das Auge träge streift die Wände
der Küche, wo ja diese Leier spielt!

Du lächelst! Oh, was bin ich blöd gewesen
(wofern nicht aus Bescheidenheit gar blind)!
Gern sollst du wieder Neues von ihr lesen –
ich hol nur noch ein frisches Blatt geschwind.

Der unbekannten Leserin

der-unbekannten-leserin-picassoIhr kennt mich schon, ihr zwei, drei Leser,
und meine Klaue, Stil genannt,
wisst, dass Murano mir durch Gläser,
Burgund durch Flaschen wohlbekannt.

Euch ist die Küche nicht verborgen,
die zum Parnass ich mir erwählt,
Apolls Geschäfte zu besorgen,
bei denen nur der Wohlklang zählt.

Und was ich an Gedanken hege,
gesteh ich euch ja frank und frei:
der Seele wundersame Wege
durch Wiesen und durch Wüstenei.

Mein Äußres hab ich euch beschrieben,
damit ihr mich leibhaftig seht,
nicht als Phantom, das, umgetrieben,
sich nur in Tintenspurn verrät.

Hab hautnah euch herangelassen
bis an den tiefsten Lebenskern,
wie einer, gleichsam anzufassen,
und nicht wie von ’nem andren Stern.

(Ganz sicher gibt es da auch Stellen,
an die ich euch kein Licht gesteckt.
Auch die würd ich euch gern erhellen –
hätt ich sie selbst nur erst entdeckt!)

Da lieg ich vor euch auf dem Blatte,
durchleuchtet wie von Röntgenlicht,
wie im Versuchslabor ’ne Ratte,
die man aufs Rad der Weisheit flicht.

Ein offnes Buch. Da ihr hingegen
mit sieben Siegeln mir versperrt,
ihr zwei, drei Leser, derentwegen
so viele Verse ich geplärrt.

Was hat zum Kuckuck euch bewogen,
grad diesen euer Ohr zu leihn,
die mit Sonetten und Eklogen
der höhren Dichtung nichts gemein?

Wie gern läs ich in eurer Seele,
wie ihr in meinen Zeilen lest,
dass sie mir klipp und klar erzähle,
was für ein Wind euch zu mir bläst!

Indes, bei näh’rem Überlegen
wär es wohl besser, wenn’s so blieb –
wer weiß, ob Freundschaft nur zu pflegen,
nicht nach dem Munde ich euch schrieb?

Drum weiter in gewohnter Weise
frisch einfach von der Leber weg –
nicht für blasierte Kennerkreise,
doch für das Herz am rechten Fleck!

Tag der Berufung

tag-der-berufung-francesco-petrarcaVersäumt, ach, diesen Tag zu ehren,
das fällt post festum mir nun ein –
zehn Jahre die Kultur vermehren
sollt Anlass des Gedenkens sein!

Um es konkreter auszudrücken:
So lange ring und reim ich schon
um Verse, die nur selten glücken,
doch stets der Mühe schöner Lohn.

(Ich muss mich hier bescheiden geben –
ein Urteil steht mir ja nicht zu:
Zur Kunst die Zeilen erst erheben
Experten, Leserin, wie du.)

Als ich indes vor ’ner Dekade
die ersten Strophen mir ersann,
wie wusst ich, ob ich auf dem Pfade
Euterpes wacker wandern kann?

Es ist kein Engel mir erschienen
auf eines Höheren Befehl,
der Menschheit fürderhin zu dienen
mit Leich, Terzine und Ghasel.

Es kam mir wohl aus eignem Triebe
und kam mir gleichsam über Nacht,
genau wie jede andre Liebe
aus dunklen Tiefen jäh erwacht.

Doch während Amors süße Pfeile
ihr Ziel verfehln nach kurzer Frist,
währt meine Schreiblust eine Weile,
die sich nach Jahren schon bemisst.

Die Treue kann ich nicht erklären,
mir macht die Sache einfach Spaß,
und keinen Tag möcht ich entbehren,
an dem ich froh zu Verse saß.

(Heißt nicht, ich hab den Bock verloren
auf dralles, pralles Menschensein –
ich bin auf beides eingeschworen
wie weiland Meister Wolkenstein.)

Ha! Kann man so zu Potte kommen?
Ich grapsche grübelnd mir ans Kinn.
Bin in den Redefluss geschwommen
und treibe träge in ihm hin.

Mehr Disziplin ist hier geboten:
Was du zu sagen hast, das sag!
Ich schlürfe also meinen Roten,
auf den verpassten Jubeltag

Und widme dieses Dutzend Strophen
dem Dämon, der mir Kraft verlieh,
dass zwischen Spüle ich und Ofen
noch folg dem Weg der Poesie!

Uhrenvergleich

uhrenvergleich-edvard-munchWill wieder mal die Verseschmiede schildern,
da wo Apollo, nicht Hephästos schafft,
im Reich der Küche hemmungslos zu wildern
nach Geistes- und Gestaltungskraft.

Dabei auch aus den Augen nicht verlieren,
was jenseits meiner Luke zu beschaun.
Ambiente diesem jämmerlichen Schmieren:
Die goldnen Lämmer auf den Himmelsau’n.

Nicht Geister durch den Ruhm entrückter Ahnen,
wie Scipio sie einst gesehn im Traum –
Laternen sind’s, damit auf ihren Bahnen
sich die Planeten nicht verirrn im Raum.

Ihr Licht, so winzig in des Kosmos Weiten,
strahlt seltsam mächtig mir doch ins Gemüt,
als wär’s dem Schlund der Räume und der Zeiten
wie Orchideen aus Permafrost entblüht.

Zurück indes zu unsren griffbereiten Dingen,
wie sie versammelt um den heim’schen Herd,
um mehr um Verse denn das Mahl zu ringen,
da auch bei diesen er sich gut bewährt.

Veränderungen sind nicht eingetreten,
wie lange mein Kontrakt hier auch schon läuft –
vom Atemzug der Zeit, dem stillen, steten,
hat’s etwas höher nur den Staub gehäuft.

(Der Store schien früher allerdings mir sauber,
jetzt wird er gegen seinen Saum schon grau –
da hilft wohl nur ein guter Wasserzauber,
den ich dem Luftgeist Ariel anvertrau.)

In etwa ist die Stimmung auch die gleiche:
Ein Dämmern, das der raschen Nacht gewiss.
Die Häuser drüben: Stein gewordne Deiche,
die bald schon überspült von Finsternis.

Wie üblich auch der Straße grobe Reize –
grad solche, die die Lauscher strapaziern;
doch dass sie auch mit Augenstress nicht geize,
lässt ab und zu ein Blaulicht sie rotiern.

Gerade kommt so‘n Martinshorn geflogen
mit seinen mächtig schwellenden Tatas –
die Straße dröhnt von Monster-Klangeswogen,
der Fuß, er fällt vor lauter Schreck vom Gas.

(Da seht verlegen mich am Schnauzer kraulen:
Der Lärm bringt völlig mich aus dem Konzept.
Ich fasse mich erst wieder, wenn dies Jaulen
mit wachsender Entfernung sacht verebbt.)

Gut, jetzt kann ich den Faden weiterspinnen.
Was wäre sonst noch, Les’rin, von Belang?
Der Kaktus? Will an Größe nicht gewinnen –
zeigt aber auch zum Schrumpfen keinen Hang.

Das kann ich von der Kerze gleichfalls sagen –
schon ewig hab ich sie nicht mehr entflammt!
Längst nistet Staub auf ihrem weißen Kragen,
ein feiner Film auf wächsern-glattem Samt.

Der ist indessen kaum noch zu erkennen,
das Dunkel saugt ihn auf wie Löschpapier.
Ich weiß nicht, lass ich noch mein Lämpchen brennen
oder verzieh ich mich ins Schlafquartier?

Na ja, an so‘n paar klitzekleinen Zeilen
blieb ich ein Weilchen doch noch gerne dran.
Das heißt fürs Wörterfinden und fürs Feilen
lass ich mir besser noch die Funzel an.

(Dezembertags, wenn früher schon die Fluten
der Schattenwogen lautlos uns umspüln,
seh gerne ich die Birne sich verbluten
in eiterbleichen, heißen Moleküln.)

Pardon, Verklammertes am besten streichen –
von Schrank sei nur die Rede und Regal;
und stellt euch vor: Die derben Bretter gleichen
den neuen noch von Anno dazumal.

Die Zeit, sie scheint mir hier so eingefroren,
als hätt man einen Winkel ihr gegönnt,
wo sie samt ihrem Schopfe ungeschoren
in aller Ruh einmal verschnaufen könnt.

Doch hat sie mir die Spuren eingeschnitten,
die ringsumher den Dingen sie erspart –
und dabei hab ich nicht einmal gelitten,
so still ging sie zu Werke und so zart.

Wer könnte sich verweigern ihrem Walten?
Dafür gibt’s nirgendwo ‘nen sichren Port.
Wohl hat sich mancher optisch gut gehalten –
doch auch im Innern nagt und frisst sie fort.

Sommers Erwachen

Sommers Erwachen, Claude MonetWie pünktlich ist der Sommer eingetroffen,
und wie der Frühling sich sofort verkroch!
Im Guten selbstverständlich, wolln wir hoffen:
“Leb wohl, und viele schöne Tage noch!“

Voll Blumen hinterließ er uns die Fluren,
die er des Winters kaltem Schoß entriss –
erst einzeln und danach in ganzen Fuhren
dem Horror unterird’scher Finsternis.

Mag nun der Sommer mählich reifen lassen,
was jener bis zur Blüte schon geführt,
bis die Natur auf allen ihren Gassen
die Gegenwart der süßen Früchte spürt.

Die 4. Strophe, diese, wollt ich weihen
dem Farbenrausch der Juli-Sinfonie –
doch will’s im Ansatz mir schon nicht gedeihen:
Der Taktstock klemmt auf einmal irgendwie.

(Wie peinlich ist’s mir, Les’rin, auszufechten
vor aller Augen hier den Seelenstrauß –
doch widersteht man jenen innren Mächten,
die heimlich herrschen in des Fleisches Haus?)

Drum soll der Lenz nicht einfach so verschwinden,
so völlig ohne Lob und Dankbarkeit –
will rasch ihm noch ein Lorbeerkränzchen winden,
dass auch besiegt erhobnen Haupts er schreit’.

O Frühling, schweigend bist du hingegangen,
dem Windhauch gleich, der leise sich verweht,
wie Röte auf beredten Mädchenwangen
in stille Blässe wieder übergeht.

So sang- und klanglos unsrem Blick entschwunden,
als wär ein Abschied nicht der Mühe wert,
als schämtest du dich deiner Erdenstunden,
weil du nicht selber Früchte auch genährt.

Doch unsre ganze Seligkeit hienieden
entspringt der Saat, die du einst ausgestreut.
Erst jetzt begreifen wir’s, da du verschieden
bei aller Glockenblumen Wehgeläut.

Wer ließe sonst so deutlich uns empfinden,
wie Leben aus den tiefsten Grüften steigt,
den muffig-feuchten und den maulwurfsblinden,
und sich so frisch und ungebrochen zeigt,

dass es im Kuss der apollin’schen Strahlen,
von göttlichem Verlangen ganz durchglüht,
aus seinen unsagbaren Winterqualen
sich in die Freiheit lichter Lüfte blüht?

Die Sommersonne brennt, doch ohne Feuer,
bebrütet nur, was Leidenschaft gebar,
dass sie, bemutternd bloß, die Frucht erneuer,
die bald sie opfert auf dem Herbstaltar.

Die Triebe aber, die dem Lenz entsprießen,
sie welken nicht und wittern nicht dahin.
Ja, immer höher nur ins Kraut sie schießen
mit übermütig-jugendlichem Sinn.

Wenn schließlich dann in seinen reifen Tagen
der Sommer prächtig sich durchs Leben schlägt,
wird manchmal wohl ihn sein Gewissen fragen,
wer diese Bahn so rosig ihm gelegt.

Nicht gut drauf

Nicht gut draufAch, alle naslang muss ich schniefen,
es hat mich leider voll erwischt.
Ob eher wohl die Nüstern triefen,
wenn sich ins Spiel das Alter mischt?

Sonst hatt’ ich damit nie Malesche,
seit Jahren gibt der Zinken Ruh,
dass ich mein Schnupftuch in die Wäsche
zur Pflege nur der Frische tu.

Und hätt’ ich das geringste Zeichen,
dass da was brütet, nur bemerkt,
ein Vitaminchen ohnegleichen
hätt’ bombensicher mich gestärkt.

Jetzt hock ich hier bei schönstem Wetter
und putz und putz mich rot und wund.
Mich nervt des Vogelvolks Geschmetter!
Na, das scheint wenigstens gesund.

Passanten auf der Gasse johlen –
sind offensichtlich blendend drauf.
Der Teufel soll sie alle holen,
nein, heiße ihre Nase: Lauf!

Ach, sehn erst die gefärbte Spitze
Kollegen nächstens im Büro,
hör lebhaft ich schon jetzt die Witze
von Säufernasen oder so!

Wer niesen muss und Schleim ausscheiden,
Geduld in seine Seele tank.
Unsäglich muss er Wochen leiden
und gilt nicht mal als richtig krank.

Niesbrauch, Nieswurz und Nieselregen
selbst mein Gehirn schon fantasiert
und wirkt der Aussicht krass entgegen,
dass dieser Spuk sich rasch verliert.

Ob mit des Glaubens Kraft versehen
ich schnellrer Heilung würde froh?
Doch wer ist, Beistand zu erflehen,
der Schutzpatron für HNO?

Auf einen ird’schen Arzt zu pochen
wär sinnlos, weil’s bekanntlich heißt:
Mit braucht so’n Schnüpfelchen zwei Wochen
und ohne vierzehn Tage meist.

Ich muss auf Biegen und auf Brechen
allein durch diese Foltertour –
Indianer kennen keine Schwächen,
„Zähne zusammen!“ reicht als Kur.

Doch wenn die Sache ausgestanden
und dieser Albtraum jäh vorbei –
wann wird den nächsten Coup er landen,
wer immer Herr der Viren sei?

Gewiss hat er dafür ’nen Riecher,
wann reif ich bin fürs Taschentuch,
und schickt die unsichtbaren Viecher
entsprechend pünktlich zu Besuch.

Doch was zerwühl ich mir den Brägen
und grüble was die Birne hält?
An solcherart von Schicksalsschlägen
zerbricht nicht gleich die ganze Welt.

Man muss nicht unters Schlachtermesser,
krepiert nicht wie das liebe Vieh,
ja, fühlt gebessert sich gar besser
als je zuvor. Na denn Hatschi!

Stubenhocker

Stubenhocker1, Roelant SaveryWer heute auf der Couch gelungert,
den treff des Faulen ganze Schmach!
Nach Schatten hab ich nur gehungert,
jetzt trauer ich der Sonne nach!

Ein Sommertag dahingeschwunden
mit allem, was das Herz erfreut!
Nun leck ich bitter meine Wunden,
ein Sünder, den Verpasstes reut.

Ach, Blumen boten ihre Leiber
dem fleiß’gen Flug der Bienen dar,
da ich, ein müder Zeitvertreiber,
Gedankenblüten nur gebar.

Die Fluren frisch mit Grün bezogen,
in dem sich gelb Getreide wiegt!
Ein Vogel flatternd aufgeflogen,
ein Rehkitz, das ins Gras sich schmiegt!

Im Wipfel irgendwo ‘ne Taube,
die käuzig ihre Lockung gurrt.
Und ich lag in der Stube Staube,
wo leise Klothos Spinnrad schnurrt.

Die Seele aber kriegt nur Frieden,
schöpft Atem sie in Feld und Flur:
Ein Paradies heut und hienieden –
drei Schritt entfernt vom Sofa nur!

Tagesnachruf

Tagesnachruf, Paul CezanneSo geht auch dieser Sonntag mir zur Neige,
da sacht verdämmernd ihm das Auge bricht.
Und ich, dass ich die letzte Stund vergeige,
pfeif aus dem Stegreif mir noch ein Gedicht.

Ein Grabgesang, der jämmerlich zu nennen,
bedenk ich, was der Scheidende mir wert.
Fagotte müssten schluchzen, Flöten flennen,
wenn so ein Duzfreund in die Grube fährt.

Die Tränen müssten kübelweise fließen,
die Wange nässend, die in Krämpfen zuckt,
und Asphodelus aus dem Herzen sprießen,
der Todestrauer blumiges Produkt.

Ein Tag? Nein, lasst mich’s in Minuten sagen:
Einsfünf beinah, wer hätte das gedacht.
Und sechzigfach Sekunden draufzuschlagen –
zur ganzen Fülle seiner Zahlenpracht!

Nur immer weg von dieser Uhr sich wenden,
dern spitze Klinge mir die Zeit zerstückt –
die Trümmer, unsichtbar, dahin zu senden,
wo Hades seine Schattensträuße pflückt.

Da heißt’s, Natur, dir für die Gnade danken,
dass Trägheit du in unser Herz gesenkt,
wie’s in des Chronos übermächt’gen Pranken
sich unverdrossen seine Zukunft denkt.

Seht mich hier fröhlich vor dem Teiche hocken,
der von der Flasche schön in Glas gefasst:
Kein Kauz-Orakel, keine Totenglocken.
Den Abgang grade wieder mal verpasst!

Selbstporträt

Selbstporträt, Francis BaconSo ehrlich möchte ich mich zeigen
mit Worten auf Papier,
dass von den Zügen, die mir eigen,
nicht einen ich verlier.

Wie Meister Rembrandt ungelogen
sich seiner Kunst gestellt,
will Furchen, die die Zeit gezogen,
enthüllen ich der Welt.

Indessen wie den Anfang machen?
Gibt es nicht hunderttausend Sachen,
die so ein erster Pinselstrich
beginnen könnte meisterlich?

Am besten start ich mit dem Alter,
das ist ’ne Basis schon:
Der höchste Personalverwalter
schickt bald mich in Pension.

O weh, ein Kerl von solchen Jahren
hat doch ’ne Menge schon erfahren,
was auf dem werten Angesicht
in lust’gen Fältchen zu uns spricht!

Das muss ich jedenfalls bekennen:
Der Teint ist längst versaut.
Mag‘s jemand rau und männlich nennen,
ich nenn es alte Haut.

Und was da oberhalb der Stirne
den Schädel einst gedeckt,
hat rings sich um die nackte Birne
als Kränzlein ausgestreckt.

Wenn wir dann etwas tiefer schauen
an der Apollgestalt,
dann finden auf den Lymphen-Auen
ein Hügelchen wir bald.

Gewiss, gewiss, das sind Symptome,
wie sie in seinem Lebensstrome
wohl jeder mal erfährt,
der sich der Mündung näh‘rt.

Adonis bin ich nie gewesen,
doch was sie jetzt im Spiegel lesen,
die Augen, deprimiert,
sie beinah schon geniert.

Nur noch ein Schatten jener Tage
mit leidlicher Figur,
da keine überdrehte Waage
mir riet zur Hungerkur.

Die ungefügen Biomassen,
die kaum noch in die Hose passen,
ob Schicksal oder Schuld,
ich trag sie mit Geduld.

Nun, wenn denn dies schon alles wäre,
ich pfiff darauf wohl glatt,
doch in dem Buch der Krankheitslehre
ist auch für mich ein Blatt.

Ich muss mich nicht in Qualen winden
mit was wie Gallenstein,
doch seh dafür mir sacht entschwinden
den klaren Augenschein.

Das gilt auch für die Kunst zu hören,
die offenbar schon litt,
dass, lauschte ich den „drei Tenören“,
nur zwei bekäme mit.

Will jemand sich mit den Gebrechen
für meines Lebens Laster rächen?
Bin ’n kleiner Sünder bloß –
die Strafe wär zu groß.

Mehr möchte ich indes nicht schildern,
jetzt brauch ich meine Ruh –
malt euch in euren eignen Bildern
noch dies und das dazu!

Viel ehrlicher kann ich’s nicht sagen
als mit den Zeilen hier –
wär’s wohl auch mut’ger aufgetragen
auf Leinwand statt Papier!