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Utopisch

Ist überall denn gleich das Leben,
so wie bei unsereins im Kern?
Kann es nicht andre Formen geben,
vielleicht auf einem andren Stern?

Da könnte ich ein Land mir denken,
wo alles mit Humor geschieht
und sich die Leut‘ ein Lächeln schenken,
bevor man noch die Sonne sieht.

Die Stütze unsrer Potentaten,
oft trübe im geliehnen Licht,
Beamte wären wohlgeraten
und mobbten ihre Bürger nicht.

Und die mit Knüppel und mit Knarre
vertreten hier die Obrigkeit,
sie führen keinem an die Karre –
stets freundlich und stets hilfsbereit.

Der Richter auch von Gottes Gnaden,
der urteilt mit Gesetzeskraft,
er dächt, es würd am meisten schaden,
und nähme das System in Haft.

Herr Lehrer, bitte eine Frage!
Erspar sie dir, du Naseweis:
Man lernte dort mit einem Schlage
per Pille ohne Angst und Schweiß!

Politiker, die unsren gleichen,
ganz nah am „Wohl des Volkes“ dran?
Dort hielt man es nicht mit den Reichen
und wirklich mit dem kleinen Mann.

Und was ist mit den Klerikalen
im Gnadenstand der Fantasie?
Man müsste Eintritt dort bezahlen
für so viel Märchen und Magie.

Die aber auf der Knete glucken,
nur dass sie goldne Eier leg?
Man gäb dort ohne Wimpernzucken
dem Bettler sie mit auf den Weg.

Genug der Wunder. Nur Soldaten,
die fehlen noch zu guter Letzt:
Dort würde ihren Heldentaten
bestimmt kein Denkmal mehr gesetzt.

Kleine Weltgeschichte

Kleine WeltgeschichteEin fachlich übliches Verfahren
will ich mal lyrisch ausprobiern –
der Dinge Lauf, so wie sie waren,
auf große Namen reduziern.

Da taucht aus der Geschichte Dunkel
der Ramgon in das Licht der Welt,
raubt Neburabi das Gefunkel
der Krone aus dem Wüstenzelt.

Da kommt Alexios angeritten
und plündert des Dariander Land
die kreuz und quer, bis er inmitten
des blut’gen Ruhms sein Ende fand.

Jetzt Hannio Herr des pun’schen Pflasters,
der manche Festung bringt zu Fall,
doch bei Erweitrung des Katasters
der Faust erliegt des Scipibal.

Sich mächtig in die Wolle kriegen
auch manch missratne Söhne Roms –
der Marisulla killt wie Fliegen
im Stile eines Volkspogroms.

Genauso wenig haben Skrupel
Pompäsars Ego je geplagt –
hetzt mitleidlos die Kampf-Quadrupel
auf Plebs bei der Sesterzen-Jagd.

Und später dann, im Reich der Franken,
vom großen Karlis Khan regiert,
‘nen faulen Frieden sie verdanken
den Sachsen, die er massakriert.

Na, und so weiter und so weiter
kriecht dieser Kröten schleim’ge Spur
auf der Geschichte Hühnerleiter
bis heute fort in einer Tour.

Der Attilenk kommt noch zum Zuge,
der Wallenborough, Friedepart,
und so vergeht die Zeit im Fluge
beim Dauerstreit um Kaisers Bart.

Nachdem erst jüngst wir überwunden
den Terror, braun gefärbt und rot,
ha’m längst sich neue schon gefunden
als Meister für den Massentod.

Der Kimler etwa fern im Osten
mit trügerischer Kinderschnut
und, dass die Waffen ihm nicht rosten,
der Unruh stiftende Pol Put.

Auch sie nur ephemere Größen,
die bald schon in die Grube fahrn,
wo, wohlgenährt von Erdenklößen,
nur Würmer sich noch um sie scharn.

Es ist trotz dieser wen’gen Proben
der rote Faden rasch erkannt,
der wie ein Schuss hineingewoben
ins uferlose Zeitgewand.

Geschichte: Kampf um Kies und Kronen,
begierig, mitleidlos und blind,
und deren tausend Schlachtstationen
man nur mit Schaudern sich ent-sinnt.