Schlagwort-Archive: Maria

Randa

Dasselbe ist NähRandae und Ferne zwischen dem Freund und dem
Geliebten. Denn so, wie sich Wasser und Wein vermischen,
vermischt sich die Liebe des Freundes mit der Liebe des
Geliebten; wie Wärme und Licht ist ihre Liebe verknüpft;
und wie Wesen und Sein stimmen sie überein und sind
einander nahe.

Ramon Llull, Vom Freund und dem Geliebten, 1283/84

Heut will ich, einz’ge Leserin, dich bitten,
dass du mir folgst nach ’nem bestimmten Ort.
Sei unbesorgt, ich wahr dabei die Sitten –
ich geb dir schriftlich hier darauf mein Wort!

Lass einen Hügel beide uns besteigen,
der einsam aus dem Tiefland sich erhebt –
ich möchte dir die Welt einmal so zeigen,
wie wenn als Adler man darüber schwebt.

(Anmerkung 1: Beinah 500 Meter
ragt dieser Buckel aus dem Grund empor,
steilt sich nicht nepalesisch in den Äther
und kommt doch hoch dem Autoklettrer vor.)

Wenn wir zur Spitze glücklich dann gedrungen
auf unsrem kurvenreichen „Knüppelpfad“,
sehn wir tief unter uns, vom Meer umschlungen,
die halbe Insel schön im Wellenbad.

Und Felder überall sich landwärts strecken,
von Büschen hier und Hecken da begrenzt,
mal weizenblond, wo Ähren sie bedecken,
mal silbrig, wo des Ölbaums Blatt erglänzt.

Auch, leicht für Haufen Feldgesteins zu halten,
die Dörfer, über diese Flur verstreut,
doch ledig aller Wagen und Gestalten
und selbst der Glocken klingendem Geläut.

Wie Äderchen die Wege sich verzweigen,
um sich in lichten Dünsten zu verliern.
Die ganze Erde unten atmet Schweigen,
scheint in der Glut des Mittags zu gefriern.

Lässt man den Blick dann immer weiter gleiten
bis an der Augenkünste Horizont,
verschwimmen diese abgesteckten Weiten
in einer schaumig-flachen Nebelfront.

Im Norden nur gewahrt man die Konturen
massiver Berge überm Küstensaum,
die bleiern lasten auf den fernen Fluren,
doch majestätisch auch in ihrem Raum.

Damit der Schöpfung Schönheit man empfinde,
hat diesen hohen Ausguck sie erbaut –
dass unbehindert wer in alle Winde
und alle prächt’gen Panoramen schaut.

Was heil’ge Schriften ehedem verheißen
als der Gerechten immerwährnden Lohn,
hier sieht man‘s unterm Blau Mariens gleißen,
ein Paradies auf sünd’ger Erde schon.

(Anmerkung 2 will ich dem Lullus weihen,
der hier vorzeiten seine Zuflucht nahm,
sich um der Wahrheit willen zu kasteien,
dass er in Lust und Luxus nicht verkam.)

Dem Zauber dieser Insel längst erlegen,
besonders auch dies Fleckchen mich entzückt,
ein wenig abseits von gewohnten Wegen,
dem Erdentreiben meilenweit entrückt.

Wie Moses einst vor dem Gelobten Lande,
das ihm sein Gott als Bleibe anbefahl,
so steh ich gern an dieser Klippen Rande
und blick ins weite, herrlich blühnde Tal.

Himmlische Kunst

Himmlische KunstDie Brüder hatten einst gut lachen,
die von der Lukasgilde die,
mussten Gedanken sich nicht machen
über das Was – nur übers Wie.

Ein Bischof ließ zu Stuhle bitten,
ein Abt vom Kloster Soundso,
und hingegangen, hingeritten,
gab’s einen Auftrag von Niveau.

Da war ein Tafelbild gefordert,
dass eine Kirchenwand es schmück,
dort hat man ‘nen Altar geordert
mit Flügeln zwei bis drei, vier Stück.

Motive waren vorgegeben,
ein Mustermalbuch war zur Hand –
mit Szenen aus dem prallen Leben
der Bibel und dem heil’gen Land.

Hier neigt mit frisch geschärfter Klinge
sich Abram über seinen Sohn,
dass Gott er ihn zum Opfer bringe –
im Hintergrund naht Rettung schon.

Da finden wir in tiefstem Jammer
Maria unterm Kreuze stehn
sowie die leere Grabeskammer,
die die von Magdala gesehn.

Dazu in tausenden Legenden,
die außerhalb der Schrift tradiert,
die Heil’gen, die so schrecklich enden –
geköpft, gepfählt und blutverschmiert.

Ein Fundus, den beim besten Wühlen
man niemals ganz erschöpfen kann,
nicht an Figuren und Gefühlen,
nicht an Dramatik irgendwann.

‘ne Auftragsarbeit dieser Sorte
wünscht ich mir heute als Poet –
gewiss fänd ich die rechten Worte,
sobald das Thema erst mal steht.

Doch so was wie ‘ne Dichtergilde
hab ich noch nirgends aufgespürt,
schon gar nicht eine, die im Schilde
‘nen Mann des Evangeliums führt.

Und auch die eitlen Potentaten,
die einst belohnt ‘ne Hudelei,
sie wichen längst den Demokraten,
die mit der Börse nicht so frei.

Drum beug ich weiter vorm Parnasse
in Demut meine wunden Knie
und bleibe mangels Lesermasse
bei meiner Kammerpoesie.

Gott im Azur

Gott im AzurDie Gegenwart des Religiösen
besticht in mancherlei Konnex,
ist mehr als nur im Dämmer dösen
der Sonntagspredigt, Tobit sechs.

Wie oft man noch in Häuserwände
ein kleines Tabernakel bohrt
der Jungfrau, dass sie Segen spende,
von frischen Farben stets umflort!

Doch auch der Trucker, dass den Laster
durch allerlei Gefahrn er führ,
trägt gern als Trost- und Heilungspflaster
ein Jesus-Poster an der Tür.

Und wie viel Feste sie noch feiern,
die ihren Heiligen geweiht –
nicht um sie lustlos abzuleiern,
nein, froh trompetet und schalmeit.

Ist etwa irgendwo erkoren
der hl. X zum Ortspatron,
dann hat für Kinder, hier geboren,
man meist auch einen Namen schon.

Na, und die Glocken, wie sie läuten,
auch wenn man nicht zur Messe muss –
nur um dem Gläub’gen zu bedeuten:
Die Hände hoch zum Angelus!

Da sollte es doch Wunder nehmen,
ließ man die Taube aus der Hand,
um mit ‘nem Spatz sich zu bequemen,
der doch dem Geist nicht grad verwandt!

Derselbe wurd ja ausgegossen
zu Pfingsten, wie die Kirche lehrt,
und kommt hier doch ins Hirn geschossen
an einem Tag nur hochverehrt.

Kein Gottesdienst, die Läden offen –
ein Montag ohne Festlichkeit.
Da heißt es, auf die Heil’gen hoffen:
Der nächste steht schon wo bereit!