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Zeitaufschreibung

ZeitaufschreibungAm Abend zur gewohnten Zeit.
Ich knie vor den Musen nieder,
das Trankopfer vollzugsbereit,
wie sie es fordern immer wieder.

Gewähren mir im Gegenzug,
dass meine Verse ich schon finde
nach flüchtigem Gedankenflug
wie’n Specht den Wurm in seiner Rinde.

Die Stunden rinnen aus dem Glas,
indem sie auch die Buddel leeren,
und machen dennoch mir den Spaß,
die Strophen mählich zu vermehren.

Bemerkt, dass ich von Kunst nicht red,
nicht von der Weisheit tiefem Bronnen –
bloß, dass hier Zeit geschrieben steht,
in Tintenblau und -schwarz geronnen.

Ein Hobby ist’s, ‘ne Spielerei,
wie andre am Computer hocken,
‘ne Tüte Erdnussflips dabei,
und manche Kurzweil ihm entlocken.

Das Spiel indes, das mich erfreut
in langen abendlichen Stunden,
beginnt genauso stets erneut,
doch ist beendet nicht verschwunden.

Die Wörter ziehen ihre Spur
wie Adern übern Leib der Seiten,
wie Furchen auf beschneiter Flur,
die erdig ihr das Weiß bestreiten.

Und greif ich auch zu neuem Blatt,
ihm andre Linien einzupressen –
das Alte bleibt an seiner Statt,
verblassend, aber unvergessen.

Denn was ich wohlbedacht gefüllt
mit Zeilen von beredten Händen,
wird nicht zerrissen und zerknüllt,
wie Wurstpapier im Müll zu enden.

Und heb ich’s auf, gewiss nicht weil
es von besondrem Werte wäre,
so grob behaun vom Bardenbeil
macht es der Kunst nur wenig Ehre.

Nein, eher gilt’s mir als Beleg,
als Auszug aus den Depositen
des Kontos, das zu führen pfleg
für Chronos ich ohne Renditen.

Und wie es schleichend sich erschöpft,
füll ich’s geduldig mit Gedichten –
die Zeit, die mir schon abgeknöpft,
kann ich poetisch somit sichten.

Wie ein Insekt, das unverwest
im Leib des Bernsteins eingeschlossen,
so in die Zeilen, die ihr lest,
ist meine Lebensfrist geflossen.

Drum ist sie ja nicht wen’ger weg –
doch irgendwie auch nicht verloren.
Man stirbt. Und nach dem ersten Schreck
wird in der Kunst man neu geboren!

Ein Dankeslied

Ein DankesliedDie Hand, die schreibend ich bewege,
der Finger, der den Kuli hält,
dem Verse folgend, rasch und rege,
dass nichts ihm aus der Reihe fällt,

Der Fuß, der auf der kühlen Fliese
den Hauch des Abends stärker spürt,
und der mich uzt, der Schattenriese,
der haargenau wie ich sich rührt,

Der Hintern, der auf hartem Stuhle
geduldig auf dem Kissen harrt,
dieweil ich mit den Musen buhle,
unsterblich (aussichtslos?) vernarrt,

Die Stirn, die sich so manche Stunde
mir brütend übern Tisch gebeugt,
dass eines Liedes Klang und Kunde
sie aus dem Hirn dahinter zeugt:

Wie selbstlos sie, wie treu sie waren,
wenn ich zum Musendienst sie rief!
Wie zuverlässig in den Jahren,
dass keines einen Vers verschlief!

Und ich: Wie blind bin ich gewesen,
dass sich mein Blick vor ihnen barg –
von diesem Übel nun genesen,
spür ihren Wert ich doppelt stark.

Habt Dank, ihr meines Leibes Teile,
die ihr so klaglos mit mir klingt!
In jeder Strophe, jeder Zeile
die Saite eures Wesens schwingt!

Das Blatt, dem Worte ich verliehen,
wie leer es wäre sonst und stumm!
Von eures Fleisches Harmonien
zehrt weidlich mein Ingenium.

Gern will ich, Helfer, euch bekennen,
doch euch zu wissen, fordert Zoll:
Schon fühl ich untern Nägeln brennen
die Frage, wie es enden soll.

Denn Hand und Hintern, Fuß und Auge,
bewahren sie wohl ihre Kraft
dem Hirn zuliebe, dass es tauge
zu lebenslanger Dichterschaft?

Mögt ihr gesund und rüstig bleiben,
dem Alter eine Nase drehn,
damit ich schludern kann und schreiben
noch ewig über dies und den!

Die Zähne mürb, das Haar gelichtet,
ein Bäuchlein baumelnd vor dem Bug –
so siechend, der den Schrott hier dichtet,
und hat noch immer nicht genug?

Ach, mag der Körper auch verrotten,
das Herz schlägt noch im alten Ton,
um der Vergänglichkeit zu spotten
mit jeder neuen Kreation.

Selbst wenn die Jahre dir enteilen,
verwittert, was dich einst geziert,
säst Schönheit du in deine Zeilen
zum Zauber, der sich nie verliert.

Kunstgriffe

Die Kunst der StundeDie Kunst, wie soll man sie beschreiben?
Ich mein: Was macht ihr Wesen aus?
Wenn ich jetzt reime „Fensterscheiben“,
bin ich als Dichter schon fein raus?

Das kann nicht sein. Ich wälze Schriften.
Gedrucktes tut ja Wahrheit kund.
Kein Zweifel soll mir je vergiften
dies Manna aus Expertenmund.

Doch halt, hier stock ich schon
(um den „Olympier“ zu zitieren) –
die Schriften sind Legion:
Wo mag die Wahrheit mitmarschieren?

Horaz, der Elegien großer Meister,
bewies auch diesbezüglich seinen Rang.
Die Musen, riet er dem Talent, begeister
mit Tricks und Regeln auch für deinen Sang!

Beschrieb in der „Poetik“ detailliert
die Klippen, die es zu umschiffen gilt,
damit nicht spurlos sich verliert
das Wort, das unserm Kiel entquillt.

Soll ihm der Wahrheit Palmenzweig gebühren?
Wenn einem, sicher, dann Horaz –
wird zum Parnass er auch nicht führen
den Gipfelstürmer zweiten Grads!

Die Normen, die er klug ersonnen,
verwandt er selbst nur virtuos –
ach, Schafe tränk an goldnen Bronnen,
ihr Blöken werden sie nicht los!

Zuerst Talent, das höchste Muss.
Dann: Lieder, reifend im Gehirn.
Dazu ein Schreiber, gut in Schuss,
Gedankenknäuel zu entwirrn.

Fühl zum Poeten dich berufen,
scharr, Pegasus, mit deinen Hufen!
Denn Chuzpe ist die halbe Kunst
beim Aufstieg in der Massengunst.

Ein schlimmes Schicksal überdies
kann dich zum Könner küren:
Der Ruf des leidenden Genies
erschließt sich Herzenstüren.

Exzentrik kommt dir auch zugut.
Nur immer alles hübsch verquer!
Das Einhorn liebt man, die Chimär’,
nicht Mäuse, grau, mit Doktorhut.

Indem ich mich so dreh und winde,
mal hier, mal da den Reim postier –
ob dadurch ich dann glücklich finde
des Dichterruhmes Elixier?

Die Form, sie führ kein Eigenleben,
schmieg innig sich dem Inhalt an:
Was würd ich für Terzinen geben,
wie Dante göttlich sie ersann!

Dass einer in den andern schlinge
sich kettenmäßig Glied für Glied,
so reiht die Reime er zum Ringe,
den er um alle Sphären zieht.

Und weg von ausgelatschten Pfaden:
Mit kühnem Salto querfeldein
und Frischluft in die Lunge laden –
der halbe Dichter-Führerschein!

Doch so dantesk wird’s nicht gelingen
das Neue, wenn es wild gewollt.
Lass wie im Rausch den Stümper singen:
Du hörst nur einen Trunkenbold.

Sind Reim und Rhythmus dir gelungen,
sind Klang gefällig und Gehalt?
Schon Gründe für Belobigungen –
doch Lorbeer nicht im Blätterwald.

Die Speisen, die wir täglich kauen,
sind sie Gemenge nur, Gemisch?
Gekröse auf des Gaumens Auen,
Kaldaunen nur von Kutterfisch?

Gewürz muss rein und Hitze,
und alles wohldosiert,
worauf das Ganze schwitze,
akribisch terminiert.

Und schließlich noch ’ne Prise
von irgendeinem Kraut,
geheim trotz Expertise,
dem Koch nie abgeschaut.

(Ui, hat der Vers mich Zeit gekostet!
Ihr Musen, sagt, wo seid ihr hin?
Glaubt nicht, dass ich am Ende bin:
Denn nur wer reimet, der nicht rostet.)

Bei diesem wieder gab’s kein Zaudern:
Momente nur hat es gebraucht.
Verzeiht dies Aus-der-Schule-Plaudern –
doch seht auch, wie das Dichten schlaucht!

Lernt man Gedichte nach Rezepten?
Poetiken sind Schall und Rauch.
‘ne Handvoll Tricks für die Adepten –
der Rest kommt aus dem hohlen Bauch.

Versuch mal, so was zu erklären,
was unbewusst mit uns passiert!
Willst deinen Bauch du Mores lehren,
damit sein Knurren ihn geniert?

Wunschdenken

WunschdenkenDes Abends stille Stunde wieder.
Die Fantasie schwebt zum Parnass –
mit Versen kommt sie bald schon nieder,
Gedanken über dies und das.

Die Straße döst, kaum noch befahren,
im bläulich blassen Neonschein.
Wo überm Dach die Sterne waren,
spannt sich der Wolken grauer Lein.

Zu Ende jetzt die Wagenrennen,
geschäft’ger Füße Lärm erstickt.
Ich spür mein Lämpchen wärmer brennen,
den Zeiger hör ich, wie er tickt.

Frau Nachbarin, wohl schon zu Bette?
Kein einz‘ger Mucks, der zu mir dringt.
Ringsum, da schweigt man um die Wette,
nur meiner Therme Flämmchen singt.

Die Buddel, würde Bashô sagen,
wie quillt es da miteins
(ich will ein neues Gläschen wagen) –
Gluckgluck, Gluckgluck des Weins!

Erst will ich auf die Musen trinken,
an die mit Dankbarkeit ich denk:
Auch wenn mit Lorbeern sie nicht winken –
der Abend, welch Geschenk!

So‘n Frieden wünsch ich mir auf Erden –
will ihn ja nicht für mich allein:
Wenn alle Menschen Dichter werden,
dann müsst‘s zu schaffen sein.

Ich bitt euch, Musen, gebt euch Mühe,
haucht Poesie in jedes Herz,
dass selbst dem steinernen erblühe
ein Frühling wie im März!

Mit diesem Wunsch ich Reim und Rebe,
das Buch der Welt, die Augen schließ.
Wenn morgen ich die Lider hebe,
vielleicht im Paradies?

Hausmusik

HausmusikEs haust ein Nachbar mir zu Häupten,
‘nen Meter höchstens eleviert,
und den die Musen wohl bestäubten,
weil gern er Töne produziert.

Dabei spielt er in freier Weise
durchaus nicht auf ‘nem Instrument,
wie man es zu horrendem Preise
vom Musikalienhandel kennt.

Nein, sollt mich mein Gehör nicht trügen,
das allerdings nicht absolut,
scheint schon ein Stuhl ihm zu genügen,
mit dem er wahre Wunder tut.

Ich kann’s ja nur am Klang erraten,
gedämpft nur und nur zweiter Hand,
und riech doch etwas von dem Braten
der Technik, die er angewandt.

Er muss nicht auf dem Möbel wippen,
dass er wie’n Zappelphilipp schwebt –
nur rasch es mit dem Hintern kippen,
wenn er von diesem sich erhebt,

Um mit den Schenkeln nachzuschieben,
dass er zum Aufstehn Raum gewinnt,
wobei, am Boden langgerieben,
das Stuhlbein zu vibriern beginnt

Und ein Stakkato von Geräuschen,
von dem nicht eins dem andern gleicht,
bis hin zum Ruf nach Wattebäuschen
dem so gestrichnen Holz entweicht.

Da frag ich mich, ob die Kamönen,
der Kunst, der klassischen entzweit,
an Kakophones zu gewöhnen
das Trommelfell nunmehr bereit?

Ach, das mit den sensiblen Ohren
sahn sie schon immer ziemlich cool:
Xenakis haben sie geboren –
warum nicht Sancho mit dem Stuhl?

Kleines Nachbeben

Kleine NachwehenAllmählich ist der Schnupfen abgeklungen,
nur selten brauch ich noch ein Taschentuch.
Der Husten, konvulsivisch aus den Lungen,
schlägt nur als Räuspern manchmal noch zu Buch.

Die Stimme, die sich mit gebrochnen Lauten
unsäglich mühsam nur Gehör verschafft,
entwand sich ihres Atems Flüsterflauten
und segelt wieder mit gewohnter Kraft.

Verflüchtigt haben sich auch jene Zwingen,
die an die inn’re Schädelwand gepresst,
zum Bersten dieses spröde Haupt zu bringen
gleich einem Ei, das seine Brut entlässt.

Die Schlappheit schließlich raus aus allen Gliedern:
Zu alter Form und Stärke lauf ich auf!
Hier seht mich meine Worte schon befiedern,
dass ich um Dichterlorbeer wieder rauf.

Ist erst der Wurm aus deinem Leib gewichen,
muss auch dem Geist die Mattigkeit entfliehn:
Jetzt schweift er wieder in den Himmelsstrichen,
die auch die Musen sel’gen Sangs durchziehn.

Um dort…chrr…dort am göttlichen Gestade,
um…chrr…Pardon!…chrr, chrr…was soll das bloß?
Zum Teufel auch – die alte Keuchkaskade –
werd ich denn diesen Jammer niemals los?

Ich könnte schier vor Wut die Krätze kriegen,
dass ich mich grad so triumphal gezeigt!
Beschämt lass ich den Kugelschreiber liegen:
Pandora hat das Wort. Die Muse schweigt.

Poetentraum

PoetentraumVon rechts fällt aus der Küchenecke
das Licht mir schräg ins Stübchen rein,
dass schummrig es den Raum bedecke
mit safrangelbem Dämmerschein.

Von links brennt eine Straßenlampe
sich bernsteinfarben in den Store,
dern Glas so prall wie eine Wampe
im sel`gen Augustinerchor.

Und vorne vor der Nase grade,
erzitternd in der linden Luft,
in seines Wachses weichem Bade
ein Flämmchen mit Vanilleduft.

Das sind so ziemlich alle Quellen,
die mir erleuchten mein Papier,
wenn ich, den Musen mich zu stellen,
Gedichte ihnen apportier.

Dass auch aus meiner eignen Birne
ein Fünkchen sich dazugesellt,
hab ich zu sagen nicht die Stirne,
bevor ihr Urteil sie gefällt.

Ich lege meine Meterware
beharrlich ihnen vor das Tor,
dass ihnen einst der Ruf entfahre:
„Nicht übel, Bursche, tritt doch vor!

Die Kunst, mit der du dies gewoben,
macht selbst uns Götterschwestern Spaß –
wenn auch noch fern von der hier oben,
so höher doch nach Menschenmaß.“

Mit einem Herzen zum Zerspringen
trät ich in ihre Hallen ein,
voll Ehrfurcht, ihnen darzubringen,
wofür sie Lorbeer mir verleihn.

Was gäb es dann noch zu verlieren?
Gedichte auf Parnass-Niveau –
und wenn sie damit tapezieren
am Ende nur ihr Musenklo!

Hoch motiviert

Hoch motiviertSchon wieder so ein Blatt zerrissen,
das mit Ideen ich gespickt,
Entwürfe, die ins Gras gebissen,
bevor sie`s Licht der Welt erblickt.

Ja, fast am wichtigsten beim Dichten
ist die Versorgung mit Papier,
um noch beim Schreiben zu vernichten,
was nicht gehört auf DIN-A4.

Die Verse, die ich mir ersitze
vom Abend bis es wieder tagt,
sind nur des Berges dünne Spitze,
die aus dem Meer der Zeilen ragt.

Doch krieg ich deshalb graue Haare,
ein Herz, das schwächlicher entbrennt?
Als ging es hier um Massenware,
Profit, Produkt und Produzent!

Den Musen dienen heißt sich placken
und bringt dir keinen Obolus,
und dennoch glühen mir die Hacken,
wenn zum Rapport mal rauf ich muss.

Im Gegensatz zu unsern Bossen
verstehn sie sich aufs Motiviern,
indem sie ihre Kampfgenossen
ermuntern statt zu deprimiern.

Die Leine, Lyriker zu führen,
wie lang sie ist und niemals straff!
So lässt sich unbehindert rühren
der Kopf, dass er sich Räume schaff.

Beim Schnuppern deshalb und beim Stöbern,
die kein Kommando ihm vergällt,
schlägt schließlich selber er die gröbern
und faden Funde aus dem Feld.

Ob ihm der große Wurf gelungen,
wird ihm indes nicht mitgeteilt –
doch wer hier einmal vorgesungen,
auf ewig in dem Chor verweilt.

Doch will die Lerche Beifall haschen,
`nen Bravo-Sturm die Nachtigall?
Sie füllen sich nicht ihre Taschen,
erfreun sich nur am schönen Schall!

Der Dichter

Der DichterWie Sie sich wohl `nen Dichter denken?
Lassen Sie mich raten, bitte sehr!
Ich glaube, ohne Sie zu kränken,
in dieser Weise ungefähr:

Ein Bursche, kränklich schon seit Kindesbeinen,
doch mit ‘nem starken Geist begabt,
mit Abscheu vor dem Niedrigen, Gemeinen,
der nur an Nektar und pp. sich labt.

Er pflegt in Gärten gern sich zu ergehen,
damit ihn Rosendüfte inspiriern,
ja, schon im Mai die blütenweißen Schlehen,
die rings des Feldrains Büsche ziern.

Und schreibend mit sensiblen Händen,
führt leicht er übers Blatt den Kiel,
Signale seines hohen Herzens auszusenden
in einem vornehm antiquiertem Stil!

Er hat sich seine eigne Welt erschaffen,
in der er wohler sich als in der wahren fühlt,
ein Eden ohne lieben Gott und Pfaffen,
vom Musenquell elysisch nur umspült.

Et cetera. Was sagen Sie? Hab ich’s getroffen?
Hab ich Apollos Jünger auf den Punkt gebracht?
Nur zu! Ich bin für Ihre Korrekturen offen.
Sie schweigen? Gut, das hab ich mir bereits gedacht.

Doch unter uns (ich denk, ich weiß, wovon ich rede):
Sie schleppen da ein Zerrbild mit sich rum.
Vergessen Sie die Einzelheiten schleunigst, jede!
Und nehmen Sie`s Zerpflücken mir nicht krumm!

Wenn ich mir auch nicht schmeichle, als Poet zu gelten,
sollte mein Beispiel Sie indes belehrn
und wo bisher, Pardon!, ein Vorurteil Sie fällten,
Ihr Blick sich für die Fakten klärn.

Die Welt, in die er taucht in stillen Stunden,
kann ihn von Alltagspflichten nicht befrein,
zu eisern ist an Amt er und Büro gebunden,
um sich allein dem Helikon zu weihn.

Ein Paradies kann ihm das schönste Lied nicht bieten
und Milch und Honig nicht der schönste Versefluss –
nur Planken sind`s im Meere der Quiriten,
an die sein Geist sich klammern muss.

Und was er schreibt, kliert er mit grober Klaue,
dass er`s zu Blatt erst einmal bringt –
Laokoon und seine Söhne schaue:
So heillos Zeile sich in Zeile schlingt!

Doch läuft er nicht in obsoleten Hosen!
Er ist geläutert vor Damaskus, ist schon Paul –
kein Freund rhetorischer Preziosen,
schaut er dem Volk gut lutherisch aufs Maul.

Ihn zu verstehn, muss man nicht Sterne deuten,
den del’schen Taucher nicht bemühn,
nicht den Gelehrten bitten, den zerstreuten –
fürs Schlichte muss man nur erglühn.

Und als ein Quell der reinsten Freude
gilt die Natur ihm jederzeit,
mit der er schmückt sein Versgebäude,
weil sie ein grünes Dach ihm leiht.

Doch über Veilchen, Rosen und Narzissen,
Holunder, Dost und Brombeerstrauch
schlägt ihm des “Boten“, Claudius‘ Gewissen:
„Und unsern kranken Nachbar auch.“

Mag er dem Schönen gern auch Blicke schenken,
verschließt er sie doch vor der Fratze nicht –
vor Monstern, die mit Blut die Erde tränken,
das aus den Wunden von Millionen bricht.

Und nicht als Tropfen nur, die fettig quellen,
nein, auch als feiste Ader auf der Stirn,
die dazu neigt, gleich anzuschwellen
aus Fremdenhass im unbedarften Hirn.

Spaliere liebt er, die sich unter Rosen biegen,
Gemäuer, das sich hoch zum Dome fügt,
doch ohne sich in diesem Wahn zu wiegen,
der sich zum Schönen stets das Gute lügt.

Wenn er auf kunsthistor`schen Pilgertouren
mit Staunen vor der Gotik steht,
sieht er des Glaubens grandiose Spuren,
doch auch des Jammers grause Majestät.

Was als Kultur wir überschwänglich preisen
ist nur der Aufsatz dumpfer Barbarei –
kann man mit Tryptichen die Armen speisen,
macht Maßwerk hör`ge Bauern frei?

Cellini hat man Morde gar vergeben,
nur dass er weiter modellier –
symbolisch fürs soziale Leben,
das Elend zu verbergen hinter Zier?

Wer sich erfreut an Bildern und an Tönen,
fühlt auch sich in den Nächsten ein –
die wahre Liebe zum Erhabnen, Schönen,
kann uns nur edel machen, nicht gemein.

Doch die, die alle Fäden der Ästhetik ziehen,
mit Kennermiene jedem Stück sich nahn,
Experten, Sammler, Händler, Galerien,
fühln statt dem Wert dem Markt nur auf den Zahn.

Sie lecken sich zu gerne nur die Lippen,
doch nicht aus Spaß am Kunstgenuss,
nein, weil sie auf ein hübsches Sümmchen tippen,
wenn Meister X mal untern Hammer muss.

Dazu warn viele ja, die heute unbestritten,
zu ihrer Zeit verspottet und verkannt
und in dem Sein, das für die Kunst sie litten,
nach allen ihren Regeln abgebrannt.

Mit Melodien, von jemandem erschaffen,
des Spur im Armengrabe sich verliert,
kann heute wer Millionen sich erraffen,
der ihn nur „kongenial interpretiert“.

(In eigner Sache eingeschoben:
Auch mir kommt keiner: „Gut, mien Jung!“
Mich wird wohl erst der Trauerprofi loben –
als Muss bei der Beerdigung.)

Doch wollt uns Salomo nicht lehren,
dass allen gleich die Sonne scheint?
Drum soll man Verse jedem auch verehren,
selbst wenn er ihren Sinn verneint.

Sich schenken ohne Gegengabe.
Und hoffen, dass man einige erfreu,
die`s, mehr auf Sein begierig denn auf Habe,
nicht schaudert vor dem geistigen Gebräu.

Doch nicht wie einer, unter Räuber grad geraten,
in heller Panik ihnen alles überlässt –
nein, die Gedanken wägend und die Taten,
zu nichts gezwungen und gepresst.

Kein Milchgesicht von stubenreiner Blässe,
von Pickeln pink und peinlich übersät
als Folge ungezählter geist’ger Aderlässe
und mickrig-magenschonender Diät.

Nein, einer, dessen rosig-runde Backen
er guter Hausmannskost verdankt,
nach der in plötzlichen Attacken
es sein Gelüste oft verlangt.

Und nicht gewillt, nur Feingeist zu verblasen,
kratzt er auch manchmal wem am Lack –
Hautgout ist nicht nur was für Hasen,
auch bei Honor’gen müffelt’s unterm Frack.

Kurzum: Wir müssen uns von Spitzweg lösen,
der drollig uns den Dichter porträtiert:
als zipfelmützig unbedarftes Kammerwesen,
das sich heroisch durch die Verse friert.

Würd dafür heute jemand Hunger leiden?
Sich für ’ne Handvoll Reime ruiniern?
In teures Tuch will man sich kleiden,
mit Kettchen seine bronznen Glieder ziern.

(Sie sehn: Ich hab den Trampelpfad verlassen,
auf dem ich selbst virgilisch neben Ihnen ging.
Das Folgende mag für die Starpoeten passen –
nicht mehr für mich als bloßen Dichterling.)

Wo war ich eben doch noch stehn geblieben?
Ach ja, ich hatte mich dem Mammon zugewandt,
den unsre Literaten heute derart lieben,
dass wohl ihr Unwort wär: Verkannt.

Man möchte in der Musenliga ganz nach oben,
die Spitze sich erobern in der Bücherschlacht,
nur Sachen liefern, die die Texte-Schiris loben,
auf dass mit „Toren“ man schön Kasse macht.

Sind Sie nicht auch schon mal so tief gesunken,
dass denkfaul Sie sich diesen Listen anvertraut
und von der süff’gen Sülze der Skribenten trunken,
begeistert `nen trivialen Fraß gekaut?

Ist Ihnen dabei denn nichts aufgefallen?
Na, dieses Muster, dieses ständige Rezept:
Sich hauen, stechen, prügeln und verknallen –
schön zeit- und ortsexotisch aufgepeppt?

Was Helden so in Kassenschlagern treiben,
das hat System, wie`s den Autoren nützt –
die möglichst platte Sensationen schreiben,
auf die sich gern ein Drehbuch stützt.

Ich will’s mal bissig formulieren,
weil mich womöglich Neid bewegt:
`ne Lyra kann man noch so schmieren,
das Publikum sie kaum erregt.

Viel Action, Puppen und Randale –
da liegen Film und Prosa vorn.
Das Schlichte, Sanfte, Minimale
verdient sich keine goldnen Sporn.

Und überhaupt: Sich Thriller auszudenken!
Gibt’s davon „live“ nicht schon genug?
Warum dem Bösen so viel Augen schenken?
Ist das nicht auch ein böser Zug?

Warum denn Blumen nicht besingen,
ganz harmlos, ohne krumme Tour?
Auch wenn sie Quoten nicht erringen –
sind es nicht Wunder der Natur?

Reine Lyrik

Reine LyrikWie heiter plätschern meine Verse
von Strophe so zu Strophe hin,
Gedanken im Gepäck, diverse,
und manchmal ‘ne Idee im Sinn.

Ein schöner Fluss, der weder Schnellen
noch irgendwelche Strudel kennt,
geschweige denn in Wasserfällen
koppheister aus dem Ruder rennt.

Doch will er nicht den Anschein wecken,
er flöss in blinder Seligkeit
und sähe nicht die Schmuddelecken
an seinen Säumen weit und breit.

Die voll von ekligen Gerüchen
nach allem, was zersetzt, zerkaut,
und mehr noch nach den Teufelsküchen,
wo Hass und Gräuel man verbraut.

Oft möcht er übers Ufer treten
in stetig aufgestauter Wut
und all den Dreck, der ungebeten,
ersäufen in der Verseflut!

Doch sträubt sich meine Musenquelle,
der Frische über alles geht,
dass ich in einen Dienst sie stelle,
der wenig Sauberkeit verrät.

Wenn Dichter mit erregten Zeilen
nur pausenlos im Unrat rührn,
wer sollte dann das Bild ‘ner heilen
und bessren Welt vor Augen führn?

Solln sie mit hellrem Pinsel malen
der Menschen finsteres Gemüt –
wer weiß, ob unter rauen Schalen
nicht heimlich schon die Rose blüht?