Schlagwort-Archive: Aristoteles

Mit Abstand besser

Der Mensch ist ein gesellig Wesen,
hat einst ein weiser Mann gesagt,
und hockte nächtelang am Tresen,
bis morgens ihn der Wirt verjagt.

So kann ich jedenfalls mir denken,
wie es zu diesem Urteil kam,
obwohl man auf den harten Bänken
der Schule so es nie vernahm.

Nun, Aristoteles beiseite,
der Ausspruch hat sich oft bewährt,
so, wenn man solo durch die Weite
der menschenleeren Wüste fährt.

Auch wenn im Stampfen der Motoren
man nächtlich an der Reling lehnt
und in der finstren Flut verloren
sich nach der fernen Liebsten sehnt.

Was sag ich – selbst von unsresgleichen
wie von ‘nem Bienenschwarm umschwirrt,
kann leicht uns das Gefühl beschleichen,
wir hätten uns im Wald verirrt,

Ja, mitten unter Volksgenossen,
‘nen halben Meter kaum getrennt,
hält man die Lippen wohl verschlossen,
weil keinen man persönlich kennt.

Am meisten macht uns grad zu schaffen
ein mikrowinziger Filou,
der dazu zwingt, dass Lücken klaffen,
Distanzen zwischen Ich und Du.

Mit dem ist nicht gut Kirschen essen,
hat man sich den erst aufgesackt,
drum Vorsicht und schön Abstand messen,
mit ihm auf keinen Fall Kontakt!

Doch wär’s nicht an der Zeit, zu fragen,
da uns schon lang das Virus quält,
ob da kein Vorteil draus zu schlagen,
der seine Wirkung nicht verfehlt?

Ich seh euch an die Stirne tippen:
Schon wieder so ‘ne Schnapsidee.
Die Leute aus den Latschen kippen,
und er malt Engel in den Schnee!

Doch denkt zum Beispiel an Soldaten,
die eingeschnürt in Reih und Glied,
und leicht so in Gefahr geraten –
den Mund womöglich auf zum Lied!

Würd denen aus Gesundheitsgründen
„Kein Schulterschluss!“ man dekretiern,
die Stiefel einmal stille stünden,
die ewig in den Krieg marschiern!

Scherz verpasst

Den Stift lass ich hier schon mal grübeln,
da nun der März sich trollen will,
was mir die Freunde nicht verübeln,
schick ich sie keck in den April.

Natürlich muss es glaubhaft klingen,
Absurdes wird sofort entlarvt
und wär bei so subtilen Dingen
im Übrigen auch unbedarft.

Zum Beispiel, dass just Feuer speie
vor Sylt drei Meilen ungefähr,
der Berg ‘ner unentdeckten Reihe,
verborgen unterm Wattenmeer.

Noch dussliger, zu suggerieren,
die Völker in Äquator-Näh,
sie würden gottserbärmlich frieren
dank Klimawandel – da mit Schnee!

Nein, ihrem kritischen Gemüte
bindet man keinen Bären auf,
da kommt nur Logik in die Tüte
und „Aristoteles“ steht drauf.

Soll ich nicht einfach mal behaupten,
zukünftig lass ich euch in Ruh,
von meinem Hirnstamm, dem entlaubten,
weht leider mir kein Blatt mehr zu?

Das ist ja niemals auszuschließen,
auch Schaffenskraft erschöpft sich mal,
gerade auch beim Überschießen –
man seh nur der Gedichte Zahl!

Das mag wohl mancher gläubig hören,
doch mach ich lieber keinen Terz.
Soll ich den Teufel raufbeschwören
mit einem unbedachten Scherz?

Wenn ich es recht bei Licht betrachte:
Genauso geht die Sache los –
nach einem Geistesblitz ich schmachte
und hab im Hirn ‘nen dicken Kloß!

Ich kann nicht ewig darauf warten,
dass er nicht mehr im Wege steht –
hab diesmal einfach schlechte Karten:
Heut ist der vierte – eh zu spät

Normales Defizit

Normales DefizitAls Irrer müsste Worte ich nicht wägen,
schrieb einfach nur nach Maul und nach Gemüt
’ne Hand voll Reime aus verkorkstem Brägen,
und schon zur Lesung mich die Szene lüd.

Hätt Vincent sich sein Ohr nicht abgeschnitten,
und läg er nicht mit Theo Seit an Seit –
noch heute wärn die Krämer unbestritten
zum Kauf der kühnen Striche nicht bereit.

Wer würde auf Villon ‘nen Sou nur geben,
hätt er als Pfaff gedichtet und als Christ,
anstatt gehetzt und vogelfrei zu leben
am seidnen Faden einer Galgenfrist?

Und auch Rimbaud, des Verse uns erklingen
wie eines Wunderkindes Melodie:
Was wär er ohne diese Todesschwingen,
die ihm Äthiopiens Höllenhitze lieh?

Des Schaffensgeists gediegenste Produkte –
was weiß die Menge schon von ihrem Wert?
Ästhetik ist’s nicht, was sie jemals juckte –
der Ruhm nur, der auf ihrem Trittbrett fährt.

Bei mir läuft da nun nix auf dieser Schiene,
bin so normal, dass es zum Himmel stinkt:
Kein Dämon hinter biedrer Bürgermiene,
kein Faust, der einem Teufel sich verdingt.

Ich halt es mit dem alten Stagiriten:
in Sophrosyne meine Tugend such;
kann den Banausen absolut nichts bieten,
nicht mal ein Ruhmesblatt im Guinness-Buch.

So stehn denn vor der Musenrichter Schranken
allein und schutzlos meine Verse da,
die Worte nur für sich und die Gedanken,
dazu noch das formale Trallala.

Ein leichter Job gewiss für die Juroren,
kein echter Prüfstein für ihrn Sachverstand –
total auf Sensationen eingeschworen,
hebt für die Kunst sich keine müde Hand.

O könnt ich nur der Mäßigung entsagen,
dem Käfig goldigen Gemüts entfliehn,
ich packte sämtlich sie bei Arsch und Kragen,
dass sie nach Jesus und der Jungfrau schrien!

Nach altem Brauch: Wen mit der Birne stoßen
recht grob und schmerzhaft auf ein Lernobjekt,
dass er den Prüfungstag, den zünft’gen, großen,
auf ewig sich hinter die Ohren steckt.

Schön wär‘s! Begeist’rung lässt sich nicht erzwingen,
den Sinn für Kunst, den bläut man keinem ein –
die Ochsen zieh an ihren Nasenringen,
das Sabbern lassen sie dabei nicht sein.

So kann ich nur noch auf ein Wunder warten,
auf die Gourmets der Poesie an sich –
doch diese Hoffnung selbst hat schlechte Karten:
Bei 13 Strophen kriegt sie keinen Stich!