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Die kleinen Dinge

Sind’s nicht die kleinen Dinge grade,
an denen unser Herz sich freut,
so wie ans graueste Gestade
das Meer die schönsten Muscheln streut?

Soll ich dem Lappen denn nicht danken,
der freundlich mir vom Halse hält
den Staub, der gerne auf die Flanken
der ungeschützten Möbel fällt?

Soll ich die Pfanne denn nicht ehren,
die treu zu meinem Gaumen steht
und, sein Vergnügen zu vermehren,
ihm gar panierten Stockfisch brät?

Und erst das quirlige Gebilde,
dem ständig warme Luft entweicht,
dass ihre sommerliche Milde
vom Kopf bis zu den Füßen reicht?

Und auf dem Tisch die neue Decke,
die ja aus gutem Grund gummiert,
dass ich denselben nicht beflecke,
falls sich ein Bissen drauf verliert?

Ein Arsenal von Nützlichkeiten,
für die man meist kein Auge hat,
obwohl sie täglich uns bereiten
Komfort, Behagen, Frische satt!

So geht es ja mit vielen Dingen,
dern wahren Wert man leicht verkennt –
auch Versen, denen lobzusingen,
wär nur die Muse Rezensent!

Muse auf Reisen

Schon ging er in die letzte Phase,
der Abend hart auf Mitternacht,
als ich, die Brille auf der Nase,
mich an mein Musenstück gemacht.

Ich weiß nicht, ob ich’s je beschrieben –
wenn nicht, hol ich es hiermit nach:
Das Werkzeug ist stets gleich geblieben,
nur nicht der Standort, das Gemach.

Klar, dass ich einen Schreiber brauche,
der dem Papier aufs Auge drückt,
was aus des Hirns verstopftem Bauche
dem Licht der Welt entgegenrückt.

Und eine Kerze, deren Flamme
zwar schwach wie vorm Marienbild,
doch als ob Höh’rem sie entstamme,
mir fast als wundertätig gilt.

Wer hilft dem Brägen auf die Sprünge,
der halb im Dämmer noch verharrt,
dass mit Ideen den Wisch er dünge,
der mir noch nackt entgegenstarrt?

Die Rebe macht ihn leicht und locker,
dass bald sich seine Zunge löst,
doch ohne dass dabei vom Hocker
den Musentrunkenen es stößt!

Mehr braucht es nicht an Requisiten
nebst einer Bühne, die vertraut,
den Göttern etwas darzubieten,
was Schlösser in die Lüfte baut.

Die kann man ja auch mit sich tragen
wie’n Maler seinen Skizzenblock,
dass er in allen Lebenslagen
vor lohnenden Motiven hock.

So weit will ich’s indes nicht treiben,
zwei Orte reichen mir schon aus,
ins Album Verse mir zu schreiben
aus dem besagten Bauch heraus.

Jetzt also wieder tief im Süden,
der weniger mit Sonne geizt,
die, ohne merklich zu ermüden,
hier auch im Winter kräftig heizt.

Ein Vogel, der vor allen Dingen
sich wo ein zweites Nest erstritt –
und wie ein solcher auch zu singen,
nahm seine Muse er gleich mit.

Die Führungskraft

Wohlauf, ihr lieben Vorgesetzten,
versammelt euch zum Bußgebet,
Matthäi heut für euch am Letzten,
weil hier ihr vor der Muse steht!

Zunächst die Liste eurer Sünden,
damit euch klar die Klage sei,
die sie und andre euch verkünden
nach Jahrn subtiler Quälerei.

Der stärkste eurer Wesenszüge:
Nie jemand unterworfen sein
und im sozialen Machtgefüge
eh’r Schlächter als ein armes Schwein.

Befehlen wollt ihr, kommandieren
das „Fußvolk“, das euch unterstellt
und das, den Job nicht zu verlieren,
es unter eurer Knute hält.

Und als ‘nen treuen Weggenossen,
der selten nur sein Ziel verfehlt,
habt für die Aufstiegsleitersprossen
die Arroganz ihr euch gewählt.

Denn keine andre Geistespose
tritt auch ein winz’ges Hirn so breit
wie diese dumpfe, bodenlose
der eignen Überlegenheit.

Heißt auch, nie offen zuzugeben,
dass der und der Talente zeigt,
indem, den eignen Ruf zu heben,
beharrlich jene man verschweigt.

Darum erfährt aus eurem Munde
kaum wer ein Lob der Arbeitskraft,
in großer und in kleiner Runde
Kritik indessen massenhaft.

Obwohl in Kursen, Seminaren
man alle Nase lang euch schult,
ihr nach „bewährtem“ Chefverfahren
die alte Leier weiterspult.

Da stört auch nicht, dass von der Sache
ihr kaum die Hälfte nur kapiert:
Hier Pharao und da Fellache –
läuft so der Bau nicht wie geschmiert?

Gesprochen habt ihr und geschrieben
wie alle flachen Englisch-Fans,
indes ein Fremdwort euch geblieben
grad die „soziale Kompetenz“.

Worauf ihr auch bewusst gepfiffen:
Der Schafe Schicksal ist die Schur!
Als Individuum begriffen
habt ihr euch immer selber nur.

Da fragt man sich als Psycho-Laie,
wieso lässt die Gesellschaft zu,
dass einer ohne Wert und Weihe
den Kurs bestimmt der ganzen Crew?

Dass einer, der mit wahrer Rage
so lang gebüffelt und geochst,
bis er sich in die Chefetage,
zur Schaltzentrale durchgeboxt,

Wo er nach Gusto kann bedienen
die Hebel und die Weichen stelln
und Menschen nutzen wie Maschinen
und sie, defekt, wie Bäume fälln?

Und ohne den geringsten Schimmer
von der Beherrschten Kunst und Fleiß
sie triezt und treibt und schindet immer
zu seinem eignen Lob und Preis?

Ein Fiesling also, der mit Freuden
die Untergebenen frustriert,
in seiner Dummheit zu vergeuden
Zufriedenheit, die motiviert?

Ach, wenn auch viele sich erregen:
Wolln sie das Übel wirklich heiln?
Sie zucken unter Nackenschlägen –
und würden selbst sie gern erteiln!

Ladehemmung

ladehemmungWie quäl ich manchmal mich beim Schreiben,
zerr Wort für Wort mir aus dem Hirn.
Salamitaktik. Dünne Scheiben.
Verstopfung hinter Denkerstirn.

Es mag ja alles locker scheinen,
was fertig ich hier vor euch leg,
doch reich an Dornen und an Steinen
(barockes Bild) der Dichterweg.

Das quillt nicht ständig aus der Feder,
wie’s aus der Brunnenröhre fließt,
zieht auch periodisch nicht vom Leder
wie’n Geysir, der ins Blaue schießt.

Ein Rinnsal, das auf Spinnenfüßen
sich zittrig durch die Wüste stiehlt,
am Ende glücklich zu begrüßen
das Meer, auf das es abgezielt!

Erkenntnis: Mangelt es an Masse,
hilft meistens auch Beharrlichkeit –
man geht noch mal zur Musenkasse,
dass Pegasus man länger reit.

Nicht alles rundum wohl gelungen?
Nicht jeder Kantus erste Wahl?
Ach, in der Dichtung Niederungen
verirrn auch Größre sich einmal…

Das bisschen, das mir gut geraten,
erscheint der Mühe mir schon wert –
zwar eh’r ein seltner Opferbraten,
doch der die Muse doppelt nährt.

Heute wird’s mir mal besonders sauer,
dass beinah ich die Lust verlier –
ich lieg wie’n Waidmann auf der Lauer
und krieg nur Böcke ins Visier.

Der Tagesform gewohntes Schwanken,
das heut mich kürzer treten heißt?
O nur zu denken den Gedanken,
dass mir schon schwinden Kraft und Geist!

So vieles hätt ich noch zu sagen
sub rosa unterm Reimgerüst,
dass ich in künftgen Erdentagen
nicht einen einz’gen schweigen müsst.

Dies kann das Schicksal doch nicht wollen,
vergeuden, was noch viel verspricht!
Mag es auf andre Art mir grollen,
nur mit Entzug der Zunge nicht!

Nun ja, heut war’s ’n Schuss in’ Ofen.
Parole dennoch: Hoch den Kopf!
’ne Stunde fast fürn Dutzend Strophen –
kommt nicht mehr vor: Auf Holz ich klopf.

Fettnäpfchen

Alles in ButterWenn mich nicht alles täuscht, o Mann,
hat nie so ‘n Becher wer besungen.
Ich habe lang mit mir gerungen:
Jetzt aber endlich nichts wie ran!

Der Becher also, der da steht –
wie kann man nur so schwach beginnen!
Da will er ja gleich Land gewinnen,
der Kunstfreund, der hier reingerät.

Der Becher, wie er würdevoll –
nun ja, hat reichlich Schmer geladen,
gibt wandelnd auf des Möllners Pfaden
ein Schalk vielleicht zu Protokoll.

Wenn träumend ich hinüberschau –
was glaubst du, was die Leser denken?
Dass im Begriff du bist zu schenken
dein Herzblut einer Superfrau.

O seines Deckels Kronengold –
hör auf, barockes Zeug zu schwätzen,
dass in der Luft dich nicht zerfetzen
die Leute, die dem Schwulst abhold!

Der Teufel hol die Schmiere dort –
nun komm, lass nicht die Butter büßen,
ringt noch auf wackeligen Füßen
die Muse mit dem Dichterwort.

Ein Fässchen, das mit Fett gefüllt –
was? Wolln wir, dass auf Wagnerweise,
Germaniens Wucht und Wehr zum Preise,
sich stabend Schweinerei enthüllt?

Ich streich mir schon seit Jahr und Tag –
soll das ’ne Reportage werden,
dass unser Leibwohl wir gefährden
mit dem beliebten Brotbelag?

Ich geb es auf. Das Zeug entzieht
sich meinen mäß‘gen Möglichkeiten.
Statt Versen, die wie Butter gleiten,
bringt doch nur Schmalz hervor mein Lied!

In vino veritas

In vino veritasSind sie denn nicht die größten Denker,
die Säufer, leidend an der Welt?
Nenn’s Römer, nenn es Cognacschwenker –
’s ist Wahrheit, was das Ding enthält.

Gefällt dir nicht, dies „Hoch die Tassen“?
Dann wirst du nie ein Philosoph.
Ein Gläschen um die Hüfte fassen –
so macht der Weisheit man den Hof.

Schon mit den ersten kurzen Schlucken
entkrampft sich der gestresste Geist.
Der Globus kann dich nicht mehr jucken,
da zu den Sternen du nun reist.

Und wenn nach Dutzenden von Zügen
in Seligkeit die Seele schwimmt,
wird sie empfindlich für die Lügen,
auf die das Leben uns getrimmt.

Benebelt kannst du klarer blicken,
beschwipst wird nüchterner dein Sinn.
Du hörst des Kosmos Uhren ticken
und gibst dem Ewigen dich hin.

Schon wieder da auf deiner Runde,
du alter Stromer, du, Trabant?
Ich grüße dich zur Abendstunde
ganz herzlich übern Becherrand.

Nie möchte den Moment ich missen,
da du erscheinst am Firmament,
dass eine Weile mir beflissen
dein Lämpchen vor der Feder brennt.

Grad will auf Poe ein Glas ich leeren,
dann nehme ich Horaz mir vor,
um bald auch Goethe so zu ehren,
der selbst auf gute Tropfen schwor!

Will auch den Bellman nicht vergessen
und nicht Villon, den Galgenstrick,
Verlaine und Steinbeck. Währenddessen
wachs ich an Weisheit weiter. Hick!

Und sollte ein Lamento singen,
das dieses Jammertal beklagt –
doch desto wen’ger will‘s gelingen,
je mehr ich „Prosit!“ schon gesagt!

So wie die Pfaffen uns benebeln
mit Engelszungenfertigkeit,
kommt mählich, den Verstand zu knebeln,
die glaubensfreie Trunkenheit.

Dann geht die ganze Weisheit schlafen
und schwitzt sich das Bouquet vom Fell,
beginnend mit dem Zähln von Schafen
und endend mit dem Weckappell.

Wird mit ‘nem Kater sie erwachen?
Da sei Dionysos davor!
Entronnen kaum des Hades Rachen,
leiht schon den Musen sie ihr Ohr.

Schon morgens würd ich gerne dichten,
sobald mir Licht ins Auge fällt.
Ein erstes Schlückchen dann? Mitnichten.
So früh es nur die Kunst entstellt.

Erst abends, dämmernd oder dunkel,
wenn schon das Kerzenflämmchen glüht,
begeistert durch des Weins Gefunkel
zum Sang sich endlich mein Gemüt.

Hat durchaus seine prakt’sche Seite,
die es zu andrer Zeit nicht hätt –
wenn glücklich mich die Muse freite,
kann ich danach sofort ins Bett.

Bei Mondschein wieder

Bei Mondschein wiederDer Vorhang, halb nur zugezogen,
gab mir ein Stückchen Himmel frei,
da kam doch grade angeflogen
des Mondes volles Konterfei.

Im Nu er meine Augen bannte,
dass unbewegt sie hingestarrt,
wie kurz er auf der Häuserkante,
doch nirgends sonst im Raum geharrt.

Da war auch nichts, ihn abzufedern
an Wolken in dem ganzen Lauf,
er glitt wie auf geölten Rädern
bis zum gewohnten Gipfel auf.

Nun, auch fürn lustigen Trabanten,
der nächtlich seine Späße treibt,
hockt man nicht ewig in den Wanten,
nicht unbegrenzt im Ausguck bleibt.

Ich musste mich um andres kümmern,
was wichtiger als Nacht und Mond:
mit Lyrik eine Welt zertrümmern,
in der zu leben sich nicht lohnt.

Was, edler Leser, einst zu schaffen,
gerechtem Zweifel unterliegt,
da mit den rein poet‘schen Waffen
man höchstens über Herzen siegt!

Doch schön und gut, die Illusionen,
sind sie das Salz nicht im Gedicht?
Ich werd die Missgeburt nicht schonen,
solang die Muse für mich ficht!

Schön abgeblitzt

Schön abgeblitztMuss man denn lang um Themen ringen?
Es gibt sie doch wie Sand am Meer.
Fang einfach an, dein Lied zu singen
und schon ist es ‘ne Strophe schwer!

Picasso hat sie ausgegeben,
die Losung für die Künstlerschaft:
„Ich suche nicht, ich finde eben“ –
Geheimnis seiner Pinselkraft.

Nun, wenige gewiss nur reisen
auf einem Ticket dieser Art,
obwohl’s natürlich anzupreisen,
weil manchen Umweg es erspart.

Die meisten hocken dritter Klasse
auf Pritschen unbequem genug
mit Körper- mehr denn Strophenmasse
in ihrem lyr’schen Bummelzug.

Und kaun verbissen an den Nägeln
und trübe aus dem Fenster stiern,
wo Dinge rasch vorübersegeln,
die, husch, sie aus dem Blick verliern.

Wenn schließlich sie ihr Ziel erreichen,
fühln sie sich durch den Wolf gedreht,
gebückt zum nächsten Bahnsteig schleichen
wo schon ihr Anschlussbummler steht.

Man muss mit ihnen Mitleid haben,
die doch der Muse so geneigt:
‘ner Dame auf dem Fuß sie traben,
die ihnen nur den Hintern zeigt.

 

Schöne Nachtruhe

Schöne NachtruheNatürlich schweigt die Nacht hier tiefer,
so zwischen Berg geklemmt und Meer,
so zwischen Salz und Glimmerschiefer
und was da sonst zu finden wär.

Die Autos, nun, die hört man rauschen
gelegentlich noch gummileis,
doch muss man schon sehr lange lauschen
für diesen schwachen Hörbeweis.

‘s ist halt ein Städtchen an der Küste,
das friedlich früh sich schlafen legt
und seine lauteren Gelüste
nur heimlich unterm Laken pflegt.

Und was es hier, wie soll ich’s wissen,
an Kraken und Makrelen gibt,
schwimmt wohl schon in den Wasserkissen,
wo es ‘ne ruh’ge Kugel schiebt.

Vom Berg ist eh nichts zu erwarten,
der mausert zum Vulkan sich nie –
ein Tummelplatz für Kaffeefahrten
und winters für Seniorenski.

Nur in den Kneipen herrscht noch Leben,
wird noch getrunken und gelacht,
weil Fuchs und Has sich heiter geben,
eh sie sich sagen gute Nacht.

Dann paart sich Berg- mit Meeresstille,
dass man es kaum ertragen kann.
Ich rück zurecht die Lesebrille
und rufe meine Muse an.

 

Eine Art Kirchgang

Eine Art KirchgangWeit steht die große Pforte offen,
denn heute ist der Tag des Herrn,
und alle, die auf Christus hoffen,
besuchen ihn besonders gern.

Die kleinen Glocken hoch im Giebel,
sie sammelten die Schäfchenschar
so aufgeregt zum Wort der Bibel,
dass sie sich überschlugen gar!

Die eine klang ein bisschen heller,
die andre gab sich dumpf und tief –
und eiferten, wer denn wohl schneller
das Volk zur Frohen Botschaft rief.

Die Kirche, die von Wuchs bescheiden,
erweckt gleichwohl Bewunderung:
Die weißen Wände gut sie kleiden
und der Fassade kühner Schwung.

Die Glöckchen und das Kirchgebäude,
die ihr soeben kennen lernt,
sie stehn zu meiner großen Freude
nur einen Steinwurf weit entfernt.

Muss nur mich aus dem Fenster beugen,
und alles mir vor Augen liegt –
und kann der Muse so bezeugen,
dass blickfangfrische Kost sie kriegt.

Wird feindlich sie zur Kenntnis nehmen,
dass ich auf fremder Götter Spur?
Kein Grund, o Muse, dich zu grämen:
Mein Tempel heißt Architektur!