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Alter Niesbrauch

Alter NiesbrauchKann mir ein Arzt das mal verklickern?
Kaum dass Apoll ich mich empfahl,
schon Tropfen aus dem Zinken sickern
und ich muss prusten viele Mal.

Ein rechter Schnupfen will’s nicht werden;
der Anfall klingt beizeiten ab.
Kein Schmerz noch sonstige Beschwerden –
und doch ein Fall für Äskulap?

Den alten Griechen galt das Niesen
als günstiges Orakel noch:
Ob gar die Musen selbst mir bliesen
den Kitzel keck ins Nasenloch?

Und dann auch noch in dieser Stärke –
ein zusätzlicher Fingerzeig,
dass ich mit meinem Dichterwerke
das Maß des Guten übersteig?

Wer will der Götter Zeichen deuten?
Wie oft, ach, sie uns schon genarrt,
dass unsern Eifer wir bereuten,
mit dem wir nach Schimär’n gescharrt!

Hab ich nicht bessere Beweise
als diesen Reiz, der sich entlädt,
beschwör ich nicht die höchsten Kreise
für meine Sangesqualität.

Dies Niesen hält mir treu die Stange
und raubt Gedanken mir und Wort –
es dauert aber nicht so lange,
und in den Pausen reim ich fort!

Dunkle Worte

Dunkle WorteEs ist ein Kreuz, ich geb es zu,
nur abends Verse zu verbocken.
Vom Eise ist des Tages Kuh,
der Bürger sitzt entspannt in Socken

Und stiert seine Ikone an
so gläubig etwa wie ‘ne Flunder,
die wohl ein Krimi dann und wann
beglückt mit einem blut’gen Wunder.

Nichts ist mehr auf der Straße los.
Verpieselt ha’m sich die Passanten.
Das Auto kriegt’ ‘nen Gnadenstoß
und scheuert sich an Bordsteinkanten.

Ein Strahle-Himmel, Lichtermeer –
wer wollte damit heut noch punkten?
Aurora!, mir von Delphi her,
Aurora!, schon Orakel unkten.

Die Morgenröte, ach, indes,
sie bringt mich noch nicht in die Hufe.
Ihr kühler Kuss wär mir nur Stress
statt Ansporn zu dem Dichtberufe.

Die Glieder sind noch starr und steif,
auch das Gehirn kommt nicht auf Touren.
Erst wenn ich zu den Sternen greif,
dann ticken mir die Musenuhren.

Erwartet kein Erwachelied,
den Vögeln gleich zu jubilieren.
Die Früh ist nicht mein Jagdgebiet –
muss mit der Nacht mich arrangieren.

Kein Herkules

Kein HerkulesDer Vollmond wär es wert gewesen,
dass ich ihn lyrisch angebellt,
doch war ich noch beim Blütenlesen
auf einem andern Musenfeld.

Er hat sich nicht die Müh genommen
zu kurzem ruhenden Verkehr –
erhobnen Hauptes fortgeschwommen
ist zügig er im Wolkenmeer.

Nun liegt der Himmel unbeleuchtet,
nicht mal gespickt vom Sternenschein,
indes allmählich Tau befeuchtet
der Bäume lichte Blätterreihn.

Grad hat es Mitternacht geschlagen,
unhörbar mangels Kirchenuhr,
und auch die Geister, die jetzt tagen,
verraten sich gedanklich nur.

Romantik einer Bahnhofsgegend:
Tristesse von Schmuddel und Verfall.
Der Dichter, sich darin bewegend:
Apollo im Augiasstall.

Doch ohne Chance auszumisten,
was Herkules allein vermag.
So muss ich denn hier weiternisten
in meinem sauberen Verschlag.

Die Kunst indes wird drum nicht leiden,
sie ist genügsam wie das Vieh.
Wo immer Pegasus wir weiden,
ihm reicht ein Häufchen Fantasie.

Ausdauersport

AusdauersportWie lange mag das wohl noch gehen,
dass meine Lust zum Pinsel giert
und mir in immer neuen Wehen
Gedichte aufs Papier gebiert?

Denn immerhin schon zwei Jahrzehnte
setzt diese Leidenschaft sich fort,
dass ich nicht einmal seufzte, gähnte
bei diesem steten Musensport.

Im Gegenteil: Es will mir scheinen,
dass ich, je mehr ich mich ihm weih,
nur desto mehr beginn zu meinen,
dass unentbehrlich er mir sei.

Ich weiß nicht, was mich so verbissen
grad hierbei bei der Stange hält
und ich nicht längst schon hingeschmissen,
was eh nur auf die Nase fällt.

Obwohl: Seh ich die heut’gen Sachen
und schau zurück auf den Beginn,
ist doch ein Fortschritt auszumachen
in puncto Duktus, Wort und Sinn.

So lass die Hoffnung ich nicht fallen,
auch wenn es sehr verwegen klingt,
dass aus dem laienhaften Lallen
mir einst ein hübsches Lied entspringt.

Doch sollte mich die Hoffnung trügen,
weil einfach ich zu kläglich schreib:
Ich werd den Acker weiter pflügen –
schon, dass ich in Bewegung bleib.

Feuriger Wein

Feuriger WeinDie schöne Sache mit der Kerze,
die findet momentan nicht statt.
Ich streiche meine Druckerschwärze
seit Wochen feuerfrei aufs Blatt.

Das Flämmchen würde sich nicht halten
im Wind, der durch die Küche weht,
und in der ersten Bö erkalten,
die voll ihm an die Wäsche geht.

Noch immer liefert die Maschine
mir ihren zuverlässgen Hauch,
wenn abends dem Parnass ich diene
und einen kühlen Brägen brauch.

Könnt ihr denn ein’n Gedanken fassen,
wenn ihr auf irgendetwas sinnt
und euch die Soße wie aus Tassen
so ölig in den Kragen rinnt?

Und wenn ins blitzeblanke Linnen,
das eure Heldenbrust umfängt,
sich Flicken grauer Fäden spinnen,
da, wo von jener sie getränkt?

Oh, wenn ich irgendetwas hasse,
dann die Mixtur aus Feucht und Heiß,
die zäh und klebrig wie Melasse
ich auf der Pelle spüre: Schweiß!

Klar half das Licht mir auf die Sprünge
so wirksam wie der Wein sonst nur –
weshalb ich jetzt mit Letztrem dünge
verdoppelt meine Musenflur.

Heute mal nicht

Heute mal nichtDie meisten haben ihre Lider
schon zugeklappt auf „Schlaffunktion“;
ich aber hocke wach hier wieder
wie ‘n Nachtportier am Telefon.

Ihr meint, ich sollte mir verknusen
so ‘n Bild, das eher irritiert?
O nein, erwart ich von den Musen
‘nen Anruf doch, der inspiriert!

Und um die Zeit mir zu vertreiben
bis zum entscheidenden Moment,
will ich schon mal in Kladde schreiben,
heißt was man so skizzieren nennt.

Jetzt haben also schon die meisten
die Lider auf „Geschlossen“ stehn,
ich aber (Rentner!) kann mir leisten,
so was wie ‘n Nachtdienst zu versehn.

Wie? Dies hätt ich mit andren Worten
gleich anfangs oben schon verfasst?
Mal gucken… muss die Stelle orten…
tatsächlich! Prima aufgepasst!

Verzeihung, kann ja mal passieren,
wenn man so viel zu Blatte bringt.
Muss nicht den Faden mal verlieren,
wer so wie ich am Schnürchen singt?

Ja, mit den Musen an der Strippe,
ich so was nicht befürchten muss.
Doch hole Hades diese Sippe –
kein Anruf! Na, dann eben Schluss.

Lautwandel

LautwandelVokale gehn und Konsonanten
auf Straßen täglich hin und her –
im Munde tausender Passanten,
mal flink und mal gedankenschwer.

Als Wörter kommen sie in Rudeln
in Sätzen und Sentenzen gar,
um ungehemmt herauszusprudeln,
mal trübe und mal sonnenklar.

Doch müssen sie sich rasch entscheiden,
wer geht mit wem heut Arm in Arm –
der Wind mag ihr Gesumm nicht leiden,
verbläst sie wie ‘nen Mückenschwarm.

Doch die Flaneure, nicht verlegen
um Nachschub aus dem Rachenraum,
wirken dem Schwund geschickt entgegen
und schlagen noch mehr Wörterschaum.

Was für ‘ne Lust sich einzuseifen:
Du hast da ‘nen Vokal im Haar. –
Und du fang an, mal abzustreifen
vom Hemd das Konsonantenpaar!

Ja, so viel Aufmerksamkeit schenken
die Menschen ihrem Lautbestand:
Wer würd’s den Wörtern da verdenken,
wenn manchmal sie auch arrogant?

Ich hoff, dass mir die flücht’gen Phone
stets höflich von den Lippen gehen –
lass ich sie doch zum Musenthrone
von einem milden Zephir wehn!

Falsche Freunde

Falsche FreundeLasst mich nur kurz mich mal besinnen:
Das war…das war…ich komm gleich drauf…
vor zwanzig Jahrn, als tief da drinnen
sie losgelegt mit ihrem Lauf.

Ich ahnte nichts von seiner Dauer,
sie riss mich mit, die Poesie,
erfüllte mich mit heil’gem Schauer
beim Marathon der Fantasie.

Dabei hab ich mich hochgesungen
bisweiln bis zu den Musen vor,
doch Münze hat mir nie geklungen,
sie liehn mir gnädig nur ihr Ohr.

Auf andre Gönner galt’s zu hoffen,
die nie indes sich eingestellt:
den Musen gleich für Künste offen,
doch zugeknöpft in puncto Geld.

Geschrieben hab ich und geschrieben,
ich weiß nicht wie viel Bogen voll –
der Lorbeer ist zwar ausgeblieben,
die Flut der Blätter aber schwoll.

Mäzene will ich nicht mehr suchen,
wo kleinlich man und geizig ist,
nur unter Birken noch und Buchen,
wo sich Erfolg in Klaftern misst.

Werft euch statt jener in die Schanze,
ihr Produzenten von Papier;
brecht für den Dichter eine Lanze –
ihr Holz verheiz ich auch gleich hier!

Lieber kein Stückwerk

Lieber kein StückwerkStell dir mal vor, du bist beim Bauen
und mitten in der Arbeit drin:
Wirst streng du auf die Uhr da schauen
und schmeißt Klock fünf die Brocken hin?

Nein, wenn du dich mit einer Ecke
so grade richtig mal befasst,
dann rührst du dich doch nicht vom Flecke,
bis du sie fix und fertig hast.

Genauso werkel am Gemäuer
ich jede Nacht der Poesie
und fahr kein Verslein in die Scheuer,
dem ich nicht letzten Schliff verlieh.

Das kann dann auch mal länger dauern –
noch länger als die Handwerkskunst,
da ich im Unterschied zum Mauern
dazu noch brauch der Musen Gunst.

Sie müssen mir Ideen schicken,
sonst hock ich hier vorm leeren Blatt,
anstatt mit Zeilen es zu spicken,
die keiner noch erfunden hat.

Ach, grade heute, meine Lieben,
winkt mir ein spätes Nachtgebet –
muss das Finale noch verschieben,
dieweil ich auf der Stelle tret!

In diesem Augenblick, o Segen,
morst mich die Muse doch noch an:
Ich – soll – mich – endlich – schlafen – legen –
damit – sie – Fofftein – machen – kann.

Musenstunde

MusenstundeMein Nachbar ist zu Bett gegangen.
Totale Stille auf dem Flur.
Die letzten Schritte, glaub ich, klangen
um, lass mich lügen, zwanzig Uhr.

Vier Stunden sind seitdem verstrichen,
die Ruhe sich beharrlich hält.
Nicht einmal Füße, die wo schlichen,
nicht mal ‘n Teller, der wo fällt.

Das gleiche Bild im Weltgeschehen.
Im Schlafe sich die Straße reckt,
die da vom Kopf bis zu den Zehen
unter der Fahrbahndecke steckt.

Und jene Flut metallner Käfer,
die tags sich über sie ergoss,
sie stört nicht mehr den Asphaltschläfer,
weil in Garagen sie zerfloss.

Gilt es die Stunde nicht zu nutzen?
Wohlan, hinauf zum Musenthron!
Da will ich gerne Klinken putzen
für des Poeten Mindestlohn!

Schon kann ich Pegasus erkennen,
da auf dem Weg zu mir im Ost.
Wie Feuer ihm die Flügel brennen –
schnell her, mein Pferd, und ab die Post!

Beim Zeus, er kommt nicht in die Hufe,
er tritt nur auf der Stelle dort!
„Gestatten: Sternbild von Berufe“.
Der Gaul hilft keinem Dichter fort.