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Rundgang mit Venus

Ist mir vom Arzt zwar nicht verschrieben,
so’n Rundgang abends um den Block,
doch gestern hat’s mich rausgetrieben,
denn plötzlich hatt ich einfach Bock.

Die Straße lag wie ausgestorben
im schläfrigen Laternenlicht,
noch nicht einmal vom Wind umworben,
der sonst mit tausend Zungen spricht.

Und die sich gerne in ihm wiegen,
die Palmen, stürmisch oder schwach,
sie standen steif und nicht zu biegen
wie Säulen unterm Tempeldach.

Mir strich die Kühle um die Wangen
und nestelte am Kragenknopf,
den ich bei solchem Unterfangen
mir niemals unters Halstuch stopf.

Der Himmel spannte weit und offen
sich in die Ewigkeit empor,
bezogen wie mit Seidenstoffen,
dern Glanz sich in der Nacht verlor.

Viel war da sonst nicht zu entdecken.
Er geizte heut mit Sternenschein.
Im Osten blich ein winz’ger Flecken,
Südwesten nahm die Venus ein.

Doch grade unterhalb der Stelle,
die funkelte wie’n Diamant,
gewahrte jäh ich eine Helle,
die von der Erde kam, vom Strand.

Und zwar wo an die Hafenmauer
er mit ‘ner leichten Senke stößt –
da lag vielleicht wer auf der Lauer,
der diesen Schimmer ausgelöst!

Doch wie ich dann so weiterschlurfte
und immer mal dahingepeilt,
es dieser Furcht nicht mehr bedurfte,
dass da ‘ne böse Sieben weilt.

Denn plötzlich klangen Mädchenkehlen
sirenengleich vom dunklen Meer
und sandten, um mein Herz zu stehlen,
gefühlvoll mir ein Liedchen her.

Doch war da niemand zu erspähen,
wie deutlich ich es auch vernahm,
dass mir von Elfen und von Feen
auf einmal eine Ahnung kam.

Und war’s dem Zufall zu verdanken,
dass über diesem Zipfel Land
an einem Himmel ohne Schranken
gerade jetzt die Venus stand?

Singt nicht in mächtigem Begehren
die Liebesgöttin selbst im All,
dass die erlauschten Töne wären
nur ihrer Seufzer Widerhall?

Na, so was lässt sich wohl nicht klären
mit links und hopp! im Sauseschritt.
Jetzt gilt es, erst mal heimzukehren.
Doch diese Frage nehm ich mit!

Zum Jahr der Ratte

Als Junge musst ich in den Keller,
wenn oben die Kartoffeln rar,
und holte sie nur umso schneller,
als es da kalt und finster war.

‘ne Kerze hatte ich zum Leuchten,
dern Flämmchen zitterte sich zag
den halben Gang entlang, den feuchten,
bis zu dem richtigen Verschlag.

Dann klaubt ich eilig aus dem Kasten
ein Dutzend schrumpeliger Knolln,
um rasch nur wieder rauszuhasten
aus diesem unheimlichen Stolln.

Man sagte, dass auch Ratten hausen
unter dem ganzen Trödelkram,
und immer hatt ich Muffensausen,
wenn ich ein Rascheln wo vernahm.

Wäre in China ich geboren,
was sicherlich auch ehrenhaft,
dann wär ich nicht so eingeschworen
auf diese strikte Gegnerschaft.

Als da man vor wer weiß wie lange
sich Sternenbilder ausgedacht,
hat neben Tiger, Pferd und Schlange
man auch die Ratte eingebracht.

Die musste dann auch nicht mehr weichen
aus der erlesnen Zwölferschar,
und jetzt steht gar in ihrem Zeichen
das ganze neue China-Jahr.

Dass man sie in die höchsten Sphären
für alle Ewigkeit versetzt,
kann uns darüber nur belehren,
wie sehr man in dem Land sie schätzt.

Anstatt ihr Schlimmes nachzusagen,
dass man sie meidet wie die Pest,
scheint man ihr Wesen zu ertragen
und gar als clever gelten lässt.

Ich aber, auf der Stippvisite
zum unterird‘schen Nahrungsquell,
ich hatte Schiss nur, mir geriete
der Fuß auf einmal an ihr Fell.

Angst kann sie mir nicht mehr erregen,
zumal jetzt Licht im Keller brennt.
Und ich hab nicht mal was dagegen,
wenn man mich Leseratte nennt!

Einkaufsroutine

Man geht ja, Proviant zu holen,
zum Supermarkt als reichstem Quell,
der sich mit Sortiment empfohlen
und Kassen, die besonders schnell.

Man schiebt die Karre durch die Gänge,
die man schon kennt zum Überdruss,
und achtet kaum noch auf die Enge,
durch die man sich da quetschen muss.

Rechtslinks nur rasch mal um sich fassen,
schon hat man frisch, was bald gegart,
das Hackfleisch und die Nudelmassen
und manches mehr in dieser Art.

Dann gönnt auch erste Glückshormone
sich spätestens der Brägen jetzt,
eh in die erogene Zone
des Weins er noch den Fuß gesetzt.

Da steigert sich noch das Vergnügen,
das schon der Warenkorb gewährt,
weil abends man in vollen Zügen
den Tropfen in die Scheuer fährt.

Jetzt bitte keine Warteschlange
und schnell nach Hause mit dem Kauf;
man hält sich immer viel zu lange
mit so banalen Dingen auf!

Sonst weiter nichts im Kopf geblieben?
Außer Fressalien kein Gewinn?
Was nie auf einen Bon geschrieben:
Das Lächeln der Kassiererin!

Kunst mit Ausstrahlung

Jetzt einfach nur den Kopf mal heben
und drüben auf die Wand geschaut –
mit einem Bild hab neues Leben
ich ihrer Strenge anvertraut!

Das gibt sich eher zwar verhalten
mit seinem ländlichen Motiv,
doch aus dem Mauerwerk, dem kalten,
den letzten Rest von Wärme rief.

Man sieht ein hüg’liges Gelände,
im Vordergrunde leicht geneigt,
das hinten, am verschwommnen Ende,
in mäßig hohe Lagen steigt.

Mit reifen, rötlich-gelben Ähren
wogt vorn ein Meer von Korn im Wind,
da Nebelschleier fern verklären
die Hänge, die bewaldet sind.

Und um die Sphären zu zerteilen,
läuft mittendurch ein breiter Weg,
auf dem die Schatten grad verweilen,
steht ihre Sonne doch schon schräg.

Und nirgends eine Menschenseele.
Kein Bauer, der zu schaffen hat.
Kein Wandrer, den‘s mit trockner Kehle
wohl dürstet nach ‘ner Lagerstatt.

Ein Gutshof nur mit finstren Mauern
von Leben kündet irgendwie
und dass da wo im Winkel kauern
die Herrschaft und das liebe Vieh.

Zypressen ihm zur Seite ragen
als Wächter seiner Einsamkeit,
und in die Büsche eingeschlagen,
versinkt er fast in Raum und Zeit.

Gern würd ich meine Rappen zäumen,
zu wissen, wo dies Fleckchen liegt,
das sich bei Tage schon in Träumen
wie auf dem Feld der Weizen wiegt.

Wohin indes die Schritte lenken?
Die Landschaft hat des Südens Flair,
doch alle Höhen, alle Senken,
sie gleichen sich da doch zu sehr.

Der Künstler auch, der dies Ambiente
so stimmungsvoll ins Bild gebannt,
ist mir bei all seinem Talente
von Namen leider nicht bekannt.

Das muss ich deshalb schon beklagen,
weil ihm zu danken es mich drängt,
da mehr als optisches Behagen
sein Oeuvre meinen Tagen schenkt.

Man muss nur etwas nähertreten,
dann spürt sofort man auf der Haut,
dass nach der Art von Heizgeräten
sich da ‘ne Menge Hitze staut.

Zwar hat noch nie mich hingerissen
der Anblick, den ‘ne Heizung bot –
doch diesen mag ich nicht mehr missen
mit seinem warmen Infrarot.

Supernova

Sonne und Mond, die großen Lichter,
sie leuchten auch in Versen oft,
wenn ein naturverbundner Dichter
auf glänzende Effekte hofft.

Das gilt genauso auch für Sterne,
die meistens man pauschal nur nennt,
weil in der ungeheuren Ferne
man sie am Blinken nur erkennt.

Mit Namen höchsten noch vertreten
Frau Venus, die mit Prunk besticht,
doch die gehört zu den Planeten,
ein Sternchen nur im Rampenlicht.

Da müsste manches schon passieren,
bevor man es in Strophen fasst –
vielleicht ein Riese explodieren,
der nicht mehr in die Hose passt.

Das aber scheint sich anzubahnen
da irgendwo auf weiter Flur,
so will es den Auguren schwanen,
die Himmelszeichen auf der Spur.

Der hünenhafte Beteigeuze,
Orions Jägern zugesellt,
liegt nämlich grade über Kreuze
just mit dem Träger, der ihn hält.

Die Spannkraft scheint ihm auszugehen,
die seine feste Form ihm schenkt,
dass er beginnt, sich aufzublähen
und schließlich seinen Gürtel sprengt.

Dann schösse in Sekundenschnelle
ein solcher Lichtblitz auf ins All,
dass lange noch ‘ne Super-Helle
des Sternendramas Widerhall.

Was wäre das für ein Spektakel,
ja, ein Millenniums-Event,
wenn nach dem kosmischen Debakel
das halbe Universum brennt!

Doch statt schon jetzt darauf zu lauern,
lass man die Linse noch bedeckt –
es kann womöglich lange dauern,
bis so ein Superstar verreckt.

Zehn, fünfzig oder tausend Jahre,
das weiß kein Meisterastronom,
denn so etwas ist Mangelware,
ein Glücksmoment im Zeitenstrom.

Da kann die Kamera verrosten,
auch wenn sie ständig schussbereit.
Und sollt es dich dein Leben kosten –
die Sterne haben sehr viel Zeit.

Termine, Termine

An Status und Salär gemessen
ein Schwergewicht, ein hohes Tier,
das, ganz von seinem Job besessen,
die höchsten Ziele im Visier.

Ein Feldherr etwa und Stratege?
Vielleicht ein Wirtschaftskapitän?
Ein Sportler, dem die Gegenschläge
schon an der Nase abzusehn?

Politiker! Und hochgekommen
von tief aus dem Parteienpfuhl,
bis endlich er dann Platz genommen
„verdient“ auf ‘nem Ministerstuhl.

Doch nicht, um da nur rumzusitzen.
Hat ihm bloß Arbeit eingebracht.
Besuch empfangen, Ohren spitzen.
Und das gleich morgens um halb acht.

Besprechungen und Konferenzen,
so geht’s den lieben langen Tag –
und keine davon will er schwänzen,
weil Schwäche er nicht zeigen mag.

Die Pausen, die dazwischenliegen,
sind wirklich nicht der Rede wert,
da kann er Akten überfliegen,
wobei er sich von Brötchen nährt.

Dann irgendwo ‘ne Rede halten
vor dem und jenem Fachverein,
das trägt zumindest in den Spalten
der Presse ihm ‘ne Zeile ein.

Präsenzpflicht ist ja auch gegeben
in Kabinett und Parlament,
um seine Stimme zu erheben,
wenn im Ressort die Hütte brennt.

Eh er auf „Runterfahren“ klicken
und seinen Schreibtisch räumen kann,
wird er nach Haus den Fahrer schicken,
steht draußen kein Termin mehr an.

Und seine Frau? Die pflegt zu warten
und fällt ihm niemals in den Arm.
Sie pütschert im Gemüsegarten
und stellt ihm die Kartoffeln warm.

(Sofern sie selbst in Amt und Würden
und hat Termine bis zum Hals,
gilt’s solche Dinge aufzubürden
‘ner Küchenhilfe jedenfalls.)

Und kommt er abgekämpft nach Hause,
erschöpft so sehr wie aufgekratzt,
macht er sich frisch am Fuß der Brause,
bevor er sich dann müde schwatzt.

Muss sich der Bürger da nicht freuen,
dass wer ergreift für ihn Partei –
und ohne ‘nen Beschluss zu scheuen,
wie wichtig auch die Sache sei?

Die Frage könnte ich mir schenken.
Den Kinken sehen andre auch.
Wo bleibt denn da noch Zeit zum Denken?
Regieren aus dem hohlen Bauch.

Gern im Abseits

Es gibt sie noch, die weltvergessen
im Winkel hausen wie ein Tier,
Poeten, die, vom Vers besessen,
nichts brauchen als ein Blatt Papier.

Und auf den kümmerlichen Fetzen,
der spindeldürr und federleicht,
sie doch ein Denkgebäude setzen,
das rauf bis zu den Sternen reicht.

„Luftschlösser!“, wird wohl mancher lästern –
o dass er sich des Wortes schäm!
Es wohnt sich bei den Musenschwestern
doch sicher auch sehr angenehm.

Was für ein prächtiges Ambiente,
und was fürn edler Sängerkreis!
Und ist der Gute schon in Rente,
logiert er gar zum Sonderpreis.

Wie sollte er die Welt da missen,
wo alles sich um Knete dreht
und ohne Skrupel und Gewissen
der Mensch sich meist am besten steht?

Und wo sie sich zu schlachten pflegen
aus ihrem niedrigsten Instinkt,
zum Beispiel eines Glaubens wegen,
der mit der ew’gen Wonne winkt?

Und wo sie in gewalt’gen Werken
jahraus, jahrein rund um die Uhr
das Wachstum und die Wirtschaft stärken
bis zur Vernichtung der Natur?

Er fühlt sich besser aufgehoben
in seinem Wolkenkuckucksheim
als unten, wo die Stürme toben
in einem Meer aus Schaum und Schleim.

Da mach sich gerne wer zum Narren
und hasche nur nach Schall und Rauch –
man wird ihn bald schon so verscharren
wie jeden andern Narren auch.

Der Dichter aber will nicht horten,
was seiner Kunst und Müh Gewinn:
ein reicher Schatz von goldnen Worten –
den gibt er gerne jedem hin.

Fundstellen

Jetzt hab ich sie zurückgewonnen,
die Übersicht, die lange futsch,
geh wieder gern zum Lebensbronnen
des Supermarktes auf den Swutsch.

Das ganze Hin- und Hergefahre
durch dieses Gängelabyrinth
erübrigt sich, weil ich die Ware
auch ohne Ariadne find.

Brauch nicht einmal noch wen zu fragen,
der jeden Weg und Winkel kennt,
weil täglich er mit Schlips und Kragen
geschäftig durch die Bude rennt.

Ich schieb auf ihren flinken Rollen
die Karre einfach vor mich her
und bleibe dennoch nicht verschollen
im weiten LebensMittelmeer.

Jetzt weiß ich, wo die Würstchen liegen,
die Seife, die Sardellencreme,
um zielbewusst da einzubiegen,
wo ich sie auf den Haken nehm.

Ein Einkauf wieder kurzer Wege.
Kein überflüssiges Regal.
Als Kunde und Konsumstratege
muss ich schon sagen: ideal!

Hat allerdings auch Schattenseiten.
Der Blick für wenig nur entbrennt,
um quasi blind vorbeizugleiten
an einem bessren Sortiment.

Still ruht der See

Sie zählen sicher nach Millionen,
die ehrlich den Entschluss gefasst,
im neuen Jahre nachzuholen,
was sie zu tun bisher verpasst.

‘ne Kleinigkeit nur im Verhalten,
die andern doch ins Auge sticht,
jetzt endlich einmal abzuschalten,
dass man erscheint in bessrem Licht.

Da gibt’s natürlich tausend Dinge
in diesem Riesenwunschpaket,
dass ich erst gar kein Beispiel bringe,
weil jeder weiß, wovon ich red.

Doch wenn so viele sich vereinen
im festen Willn zur guten Tat,
müsst schnell uns wärmer nicht erscheinen
der Globus in gefühlten Grad?

Nein, wenn wir so das Weltgeschehen
betrachten in besagter Frist,
die alten Hähne weiterkrähen
auf ihrem alten Haufen Mist.

Als Schlichter großer Streitigkeiten
sind Keulen nach wie vor begehrt,
die, so das Fazit aller Zeiten,
doch die Konflikte nur vermehrt.

Und was wir für die Umwelt machen,
die schleichend aus dem Ruder läuft,
es ist so dürftig, dass vor Lachen
in seinen Tränen man ersäuft.

Wann immer der Vernunft wir trauen,
spielt unser Bauch uns einen Streich.
Luftschlösser kann gewiss sie bauen,
doch kein vernünft’ges Erdenreich!

Glaubenssache

Noch immer füllt sie ihre Bänke,
sobald vom Turm die Glocke tönt,
und führt die Herde an die Tränke,
so wie vom Hirten sie’s gewöhnt.

Ich hab sie täglich ja vor Augen
und auch das hölzerne Portal,
das offensteht, um einzusaugen
die Schäfchen in den Vortragssaal.

Die meisten kreuzen da die Schwelle
gemessen, weil die Zeit nicht drängt,
doch mancher sich auch auf die Schnelle
noch husch! durch Tür und Angel zwängt.

Dann hob schon an die Feierstunde
mit Halleluja und Latein
und unser säum’ger Kirchenkunde
fängt sich verstohlne Blicke ein.

Der Pfarrer aber wird sich denken:
„Weiß Gott, spät kommt Ihr, doch Ihr kommt!“
und würd in keinem Fall verschenken
‘ne Stimme, die der Sache frommt.

Mag ihn auch der Leibhaft’ge zwacken,
dass ihm ein böses Wort entfährt,
er muss doch kleine Brötchen backen,
damit sein Tempel sich nicht leert.

Was warn das noch für sel’ge Zeiten
für diese strenge Priesterzunft,
als alles ließ sich willig leiten,
und sei’s entgegen der Vernunft!

Sie haben schlimm gehaust auf Erden
und jedes Wässerchen getrübt –
und heut als Hüter sich gebärden
‘ner Tugend, die sie nie geübt.

Wer jetzt da noch vor Kanzeln kauert,
als wär es vor der Weisheit Thron,
zeigt einen Geist, der eingemauert
im mächt’gen Turm der Tradition.