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Altenhilfe

Was neulich uns an Quarantäne
ein Virus auf den Hals geschickt,
weicht jetzt allmählich einer Szene,
die freier in die Zukunft blickt.

(Schön, nicht?) Denn müßige Passanten,
dern Schlendern bisher fristbeschränkt,
flaniern jetzt an den Bordsteinkanten
bis wohin ihre Lust sie lenkt.

Doch halt! ‘ne Grenze ist vorhanden,
die nach dem Alter sich bemisst:
Bis siebzig frei von allen Banden,
darüber gilt die alte Frist.

Auch ich gehör zu dieser Truppe,
die man noch an der Leine hält –
hochgradige Gefährdungsgruppe,
unter besondren Schutz gestellt.

Ihr meint, ich hätte schlechte Karten?
Die Ansicht ich nicht teilen kann.
Wie sonst nur der bedrohten Arten
nimmt erstmals meiner man sich an!

Auf einmal will in Watte packen
die Obrigkeit den morschen Leib,
dass ihn des Keims Organattacken
nicht vorschnell in die Kiste treib.

Dafür möcht ich ihr herzlich danken,
s’ ist keine Selbstverständlichkeit,
dass man den Alten und den Kranken
ein solches Maß an Sorge weiht!

Es soll ja durchaus Stimmen geben,
die andersrum argumentiern:
Die werden eh nicht lang mehr leben,
was macht‘s, wenn sie schon jetzt krepiern.

Erinnert mich fatalerweise
an einen Brauch, der einst geschätzt
im alten Japan, wo die Greise
man in der Wildnis ausgesetzt.

Bis zum „gesunden“ Volksempfinden
ist das zum Glück noch nicht gediehn.
Jetzt erst die Krise überwinden
und dann, auch hier, ein Fazit ziehn!

Ein Hammerhaus

Halb zwölf. Und keine Nachbarn hauen
noch wild auf ihre Wände ein.
Ob in die Glotze sie jetzt schauen,
den Hammer im Reliquienschrein?

Ob in die Kissen sie gesunken,
erschöpft vom Rhythmus ihrer Hand,
die nach so viel geschlagnen Funken
total erschlafft und ausgebrannt?

Wer weiß. Ich jedenfalls genieße
die Ruhe, die jetzt eingekehrt,
und ungestört in Verse gieße,
was immer mir erwähnenswert.

Die Bürgerpflicht zur Maskerade
bestimmt auch heut das Straßenbild,
damit aus der Gesichtsfassade
nichts Feuchtes in die Lüfte quillt.

Dazu begann die zweite Phase
nach staatlichem Entspannungsplan –
man lupft den Griff leicht an der Nase,
doch öffnet nicht den ganzen Hahn.

Doch ist nicht von der Hand zu weisen,
dass man noch immer Fesseln trägt.
Wann werden wieder Flieger kreisen,
dass nicht umsonst sich Heimweh regt?

Noch sind die Grenzen fest verschlossen,
ich komm zurzeit hier nicht vom Fleck –
allein mit meinem Musenzossen
setz locker ich darüber weg.

Indessen auch nur in den Träumen,
die mir die Fantasie verleiht;
sie zählt nicht in den Landschaftsräumen
der schlagbaumfreud’gen Obrigkeit.

Ein Weilchen also ich noch glucke
in meinem meerbespülten Nest,
gewappnet mit Geduld und Spucke,
bis man mich endlich ziehen lässt.

Ich schätze, dass es ein paar Wochen
auf alle Fälle doch noch braucht.
So lange werden meine Knochen
noch in dies Wechselbad getaucht.

Am Tage Hämmern, Klopfen, Bohren,
womit man laut sein Handwerk preist,
indes es beinah mir die Ohren
bis rauf zum Trommelfell zerreißt.

Dann abends endlich wieder Frieden.
Beim Schreiben lausche ich dem Meer.
Doch was ist schon gewiss hienieden?
Fast zwölf. Und plötzlich hämmert wer!

Himmel auf Erden

Ein Dichter würd im Paradiese
gewiss nur den Beruf verfehln;
das Leben auf ‘ner Blumenwiese
ihm Herbst und Winter bloß verhehln.

Denn dass des Daseins ganze Fülle
poetisch er erfassen kann,
braucht Gold genauso er wie Gülle,
den Banker und den Bauersmann.

Im Garten Eden nicht zu haben.
Hier sind die Menschen alle gleich.
So unbedarft wie Sängerknaben
und weise wie ein Wüstenscheich.

Man trägt mit Fassung die Askese
in diesem göttlichen Revier:
Nur Manna ohne Mayonnaise,
nur Nektar und kein Dosenbier.

Genauso mit der Kleidermode –
nichts Buntes, nichts Apartes mehr.
Ein Schneider grämte sich zu Tode,
sofern das hier noch möglich wär.

Auch das melodische Vergnügen
ist eher von bescheidnem Rang;
den hier Verewigten genügen
Lobpreisungen mit Harfenklang.

Das sind so einige Aspekte
der vielgerühmten Seligkeit,
dass lieber ich noch lange schmeckte
die gut gewürzte Lebenszeit.

Nein, Psalmen sind nicht meine Sache,
in die man dort die Seele lullt,
dass sie auf keinen Fall erwache
aus göttlichem Personenkult.

Dann lieber auf der Erde hocken,
in ihrem müffelnden Morast,
um ständig Verse zu verbocken,
mit denen man den Sumpf erfasst.

Ich werd ihn zwar nicht trockenlegen
mit meiner seichten Schreiberei,
womöglich aber einst Kollegen,
die weit entschiedener dabei.

Vielleicht wird sogar wahr mal werden,
mit Samba und Sardinenspieß,
vor unsrer Nase hier auf Erden
ein kreuzfideles Paradies!

Lernhilfe

Um reinen Wein euch einzuschenken:
Ich tu mich mit der Sprache schwer,
mag Hirn und Zunge mir verrenken –
ein Kloß sitzt mir im Rachen quer.

Und das nach einem Dutzend Jahren,
die winters ich im Land verlebt,
um ‘nen Thesaurus anzusparen,
in dem sich’s leicht nach Worten gräbt.

Entschuldigung: Mir fehlt indessen
die stete Übung, Tag für Tag,
mit denen, die hier eingesessen,
und ihrem fremden Zungenschlag.

Ich bin durchaus nicht faul gewesen,
hab mich mit Texten rumgequält.
Erfolg: Jetzt kann ich besser lesen
als schnallen, was man mir erzählt.

Soll etwa schriftlich ich verkehren
mit meiner werten Nachbarschaft,
Gespräche gleichsam so entbehren
wie’n Sittenstrolch in Einzelhaft?

Da wär vielleicht die Pfingstmethode
nach Doktor Sanctus Spiritus,
seit Ewigkeit ja schon in Mode,
die endlich ich probieren muss!

Aus diesem Grund kann ich nur hoffen,
dass meinen Wunsch er sich notiert
und, für dergleichen Nöte offen,
mich rasch mit seiner Kur traktiert.

Dann müsste hier die Bude beben,
dass alles wackelt, wankt und klirrt,
und sich dazu ein Wind erheben,
als ob ein Engelsflügel schwirrt.

Und das nur wenige Momente,
im Nu hätt sich der Spuk verlorn –
doch wären meine Sprachtalente
mit einem Mal wie neugeborn!

Was stets mir spanisch vorgekommen
und es in Wirklichkeit auch war,
dräng plötzlich nicht mehr nur verschwommen
in mein geneigtes Ohrenpaar.

Müsst nicht mehr um Verständnis ringen
und, was noch wunderbarer ist,
mir selber von den Lippen gingen
die Worte ohne Galgenfrist.

Ja, selbst die größten Sprachexoten,
an denen man noch schwerer kaut,
von Fidschi die und den Lofoten,
sie klängen mir wie Mutterlaut!

Doch auf den Therapeuten eben
vorerst ich leider warten muss.
Zwei Wochen will ich ihm noch geben –
dann kann er mich, der Luftikus!

Mondverbot

Hätt schon mal Lust, den Mond zu schauen,
wenn golden er am Himmel glänzt,
Apollo auf den Sternenauen,
vom Lorbeer seines Lichts bekränzt.

Doch sind die Hände mir gebunden,
das heißt die Füße in dem Fall,
denn man beschneidet meine Runden
mitsamt dem freien Blick ins All.

In meiner hohen Altersklasse
darf ich am Abend kurz mal raus,
doch treten Mond und Sternenmasse
dann noch nicht vor ihr Himmelshaus.

Taghell ist es ja noch um sieben,
die Sonne grade erst bemüht,
sich Richtung Horizont zu schieben,
wo rosig schließlich sie verblüht.

Man kann ihm nicht ins Stübchen steigen,
in die Mansarde dieser Welt,
noch hängt der Mond in Eichenzweigen,
wo man ihn als Laterne hält.

Die Leuchte unsrer schwarzen Nächte,
die Sichel mit dem kühnen Schwung,
geraubt mir durch des Staates Rechte
auf die Gesundheitssicherung!

Noch fordert ja der Schutz vor Viren,
dass die Kontakte man beschränkt
und Bürger beim Herumspazieren
in vorbestimmte Bahnen lenkt.

Nun, ist der Mond mir auch verschlossen
in seiner abendlichen Pracht,
hab ich ihn heute doch genossen,
als meinen Einkauf ich gemacht.

Zwar schwebte er als heller Flecken
hoch oben im Gewölbe nur
und war doch unschwer zu entdecken
auf dieser Folie von Azur.

Allein nach Art ‘ner Apfelsine
war in der Mitte er halbiert,
der untre Teil der bleichen Miene
korrekt mit Himmelblau maskiert!

Ersatzpapiere

Aus seiner knochenbleichen Blöße
starrt blicklos das Papier mich an,
darunter Blätter, Stapel, Stöße,
die ich nur vage sehen kann.

Soll dieser Fülle ich mich freuen,
weil sie noch viele Verse fasst,
soll ich im Gegenteil sie scheuen
als ständige Verpflichtungslast?

Bis jetzt ist leidlich gut gelaufen
die permanente Produktion,
kein Griffelkauen, Haareraufen,
weil ich nicht fand den rechten Ton.

Die Zeilen munter sich vermehren,
wie Raupen fressend Blatt für Blatt,
weil seinen Schaffensdrang zu nähren,
der Barde nur dies Mittel hat.

Das Ganze lässt selbst haufenweise
inzwischen mich doch ziemlich kalt,
und bräucht’s dafür ‘ne glatte Schneise
im sogenannten Wirtschaftswald.

(Schon wieder hab ich übertrieben
im Dünkel meiner Dichterei
und umso deutlicher geschrieben,
dass schön ich auf dem Holzweg sei!)

Ich will’s bescheidner formulieren.
Die Frage ist mir piepegal:
Hab ich beim späten Spintisieren
auch stets genügend Material?

Beim Maler könnt ich das verstehen,
der auf die Tube drücken muss
und reich mit Farben sich versehen
vorm allgemeinen Ladenschluss.

Doch des Poeten schlichte Klause,
mit Tintenklecksen nur geschmückt,
ist wie ein biederes Zuhause
mit allem Möglichen bestückt.

Grad schreibt von Feen er und Elfen…
Mein letztes Blatt! Ich sehe rot!
Doch muss kein Oberon ihm helfen:
Es geht auch Klopapier zur Not.

Schreiben, schwerelos

Das Schöne auch bei diesen Reisen,
die auf dem Blatt man unternimmt –
man lässt den Griffel einfach kreisen,
indes die Zeit dabei verschwimmt.

Du schaust mal hin, die Uhr zu fragen,
mehr unbewusst zur Küchenwand,
du hörst die Kirchenglocken schlagen
wie Kuhgeläut im Oberland.

Ein Wust aus Worten und Gedanken
hüllt wohlig deine Sinne ein,
die sich um frische Verse ranken
wie Reben um den jungen Wein.

Von Zeit zu Zeit nippst du am Glase
und stellst es blind an seinen Platz,
indes mit „Phase“, „Nase“, „Vase“
du stöberst im Vokabelschatz.

Hast du was Passendes gefunden
genau für diesen Strophen-Ort,
lässt kurz du den Erfolg dir munden
und jagst auch schon zur nächsten fort.

Erwachst du dann warum auch immer
aus deiner sel’gen Träumerei,
hast du natürlich keinen Schimmer,
warum schon Mitternacht vorbei.

Betrachte es als gutes Zeichen
für deine lyrische Passion –
die Stunden, die am Krückstock schleichen,
beweisen wenig Devotion.

Sie sind dir so dahingeflogen,
da du in deine Kunst vertieft,
und haben Bogen dir für Bogen
doch ihre Gegenwart verbrieft.

Gestattet mir hinzuzufügen,
was so die Strophenzahl betrifft,
dem Griffel manchmal drei genügen
in klarer, säuberlicher Schrift.

Er kann sogar mal zehn erreichen
im gleichen Umfang dieser Zeit,
doch neigt dazu, dann abzuweichen
vom graden Pfad der Lesbarkeit.

So oder so, es heißt am Ende,
jetzt aber schlafen, Troubadour,
wie lang auch immer Herz und Hände
gezogen ihre Tintenspur.

Nichts sollte mir dann noch beschmutzen
dies Bild vom Charme der Poesie.
Doch Pustekuchen: Zähneputzen!
Ich glaub, die Musen tun es nie.

Anti-Aging

Die langes Leben uns verheißen
mit der und jener Wunderkur,
doch selbst demnächst ins Gras schon beißen
nach den Gesetzen der Natur.

Der Tod schlägt einmal seine Krallen
in alles, was sich rührt und regt.
Dann heißt es röcheln, bluten, fallen,
und jeder Rückweg ist verlegt.

Des Menschen typisches Verhalten
erweist indes ihn nur als Tor –
bis ihm die Glieder einst erkalten,
kommt er sich unvergänglich vor.

Noch bis zum letzten Wimpernschlage
verfolgt er dies und das Projekt
und rühmt selbst noch am Sterbetage,
was an Dynamik in ihm steckt.

Und so, als wär nicht abgekartet
das Spiel mit jenem Sensenmann,
stirbt „plötzlich“ er und „unerwartet“
wie’n Wesen, das nicht denken kann.

Es lügt sich jeder in die Tasche,
wenn’s um die letzten Dinge geht,
und glaubt, dass er an Manna nasche,
wenn längst kein Hahn mehr nach ihm kräht.

Das sichert auch den Scharlatanen,
die stets von Dummheit profitiern,
ein reiches Feld, um abzusahnen
mit ihren faulen Elixiern.

Wobei dies Wort sehr weit zu fassen,
sofern es auf die Zunft verweist –
kann etwa auch auf Bücher passen,
mit denen man sein Süppchen preist.

Masken in Blau

Hab heute ein Paket erwartet
und mocht nicht aus dem Hause gehen,
grad heute, da die Pflicht doch startet,
sich mit ‘ner Maske zu versehn!

‘ne Hundertschaft der blauen Binden
hängt irgendwo postalisch fest
und lässt mich keine Ruhe finden
in meinem stillen Küstennest.

Der Mummenschanz um Mund und Nase,
den man hier schließlich dekretiert,
ist eher Sinnbild einer Phase,
in der die Plage sich verliert.

Und darum umso mehr ich schmachte
nach diesem bunten Zubehör,
weil ich die Obrigkeiten achte
und auf ihr kluges Urteil schwör.

Ich darf mich nicht mehr blicken lassen
auf Straßen, wo das Volk flaniert,
und auch bis zu den Ladenkassen
komm ich hinfort nur noch maskiert.

Muss ich die Menschheit künftig meiden
im engsten Kreis von Heim und Herd?
Muss ich den Hungertod erleiden,
weil mir der Supermarkt verwehrt?

Wie so ein unscheinbarer Lappen,
der ruckzuck in die Tonne fällt,
wenn Keime aus dem Rachen schwappen,
mit einem Mal Gewicht erhält!

Doch müsst ihr euch nicht um mich sorgen,
der wird mir nicht zum Hungertuch,
ich schick wie immer euch auch morgen
den neusten Poesieversuch.

Worauf kann ich dies Statement stützen?
Beim Kramen schließlich ich noch fand
‘ne Menge dieser Gurgelmützen,
die jüngst ein Engel mir gesandt!

Ungeschoren geblieben

Ja, Märchen sind nun einmal Märchen,
sie haben ihre eigne Welt.
Man kann sie nur in Bücher pferchen,
die man in dunkle Ecken stellt.

Wie das vom Kerl, den Schicksalsschläge
jäh an den Bettelstab gebracht,
und der ganz ohne Körperpflege
am Ende doch sein Glück gemacht.

Sich nicht zu schrubben und zu scheren,
zu schnippeln nicht an Haupt und Haar,
mehr mocht der Teufel nicht begehren,
der plötzlich ihm zu Diensten war.

Doch immerhin für sieben Jahre
er ihn dies unterlassen hieß,
dass er danach bis an die Bahre
des Reichtums süße Frucht genieß.

Gleich hat der Bursche eingeschlagen,
weil die Bedingung ihm genehm,
den Leib so zottig rumzutragen,
als ob er aus der Hölle käm.

Er hat’s auch eisern durchgehalten,
wenn’s ihm auch schwer bisweilen fiel,
weil Michel und die Staatsgewalten
kein Faible für den Schmuddel-Stil.

Doch da er reichlich Taler hatte,
die ihm der Teufel zugesteckt,
stand er nie lange auf der Matte,
bis man ein Tischlein ihm gedeckt.

Ja, in den ungezählten Stunden,
die jener ihn so walzen ließ,
hat er gar noch ‘ne Braut gefunden,
die an dem Wildwuchs sich nicht stieß.

So hat den Kürzeren gezogen
der abgefeimte Ziegenfuß,
um eine Seele mehr betrogen
für seine Welt aus Rauch und Ruß.

Wie aber, liebe Konsumenten
der wunderlichen Märchenkost,
ihr Kinder, Mütter, Rezensenten,
versteht ihr hier die Grimm’sche Post?

Dass dem, dem starren alle Glieder
von eingebranntem Höllendreck,
nichts so verhasst und so zuwider
wie Reinlichkeit am Oberdeck?

Wohl wissend, dass ein schwarzer Kragen,
der speckig um den Hals sich legt,
für Menschen schwerer zu ertragen
als Schmutz, der ihre Seele prägt?

Da hat der listige Geselle
die Macht des Geldes unterschätzt,
denn selbst verlauste Bärenfelle
man dafür nicht vom Hofe hetzt.

Doch ist ihm auch der Typ entgangen
zu seinem tierischen Verdruss:
Er hat Ersatz sich eingefangen –
sehr glaubhaft hier als Märchenschluss.